Brasilien
und alltägliche Bewegungen mit der Gemessenheit von Schlafwandlern ausgeführt wurden. Polidora brachte ein Tablett mit Getränken herein – hohe, pastellfarbene sucos für diejenigen, die keinen Alkohol wollten, und für die anderen caipirinhas, die aus cachaça, Limonen, Zucker und zerstoßenem Eis gemixt waren. Isabel nahm eine caipirinha, um sich wieder zu beruhigen; Tristão einen suco, um für alle Fälle einen klaren Kopf zu bewahren. Eine warme Duftwolke von köchelndem Rindfleisch kam aus der Küche geschwommen.
Der jüngere der beiden Waffenträger, dem Bart und silbergraue Schläfen fehlten, gab Isabel eine tröstende Antwort: «Er wird mein Freund werden. César wird die junge Dame nach Brasília begleiten, und ich werde hier mit dem jungen Mann zurückbleiben, dessen Gedanken zunächst, verständlicherweise, um Rettung und um Rache kreisen werden. Das Haus hier ist geräumig, wir können alle darin glücklich sein, ein oder zwei Wochen lang, bis die junge Dame für den väterlichen Einfluß wieder offener geworden ist. Mein Name ist Virgílio», fügte er, zum Paar auf dem Sofa gewandt, mit einer kleinen Verbeugung hinzu, die den Neigungswinkel seiner Waffe nicht veränderte.
Polidora protestierte: «Senhor, ich habe zwei Kinder, die hier in diesem Haus schlafen.»
«Man wird Sie entschädigen, Senhora.»
«Niemals!» brach es aus Isabel heraus. «Niemals werde ich mich dem Einfluß meines Vaters wieder öffnen! Ich bin jetzt eine Frau, ich habe meinen eigenen Platz in der Welt. Mein ganzes Leben, seit meine Mutter starb, als ich vier Jahre alt war, habe ich ohne einen Vater verbracht – er hat mich der Fürsorge seines affigen Bruders überlassen!»
Der entrüstete César beeilte sich, seinen Brötchengeber zu verteidigen – und mit ihm vielleicht auch alle jene Männer, die wie er selbst im ergrauenden Mittelalter standen und der Fülle der in ihnen konvergierenden Erwartungen verständlicherweise nicht mehr recht gewachsen waren: «Fräulein Isabel, Euer Vater ist ein wichtiger Mann, der sein Leben der Regierung dieses Landes geweiht hat.»
«Warum sieht dann alles so unregiert aus? Die Armen bleiben arm, und die Reichen herrschen mit Pistolen.» Als wolle sie die Prophezeiung ihres Onkels über ihre Radikalität bewahrheiten, sprang sie rebellisch auf und verhöhnte die Pistolenhelden: «Warum sollte ich euch überhaupt gehorchen? Ihr würdet mir niemals etwas antun – mein Vater ließe euch bei lebendigem Leib zerstückeln.»
Mit aller Liebenswürdigkeit pflichtete César bei: «Das ist wohl wahr, mein Fräulein. Aber leider gilt das gleiche nicht für Euren schwarzen Freund – Euren Gatten, wenn Ihr so wollt. Die Welt würde ihn nicht vermissen. Ihr allein würdet ihn vermissen. Sein Tod würde nicht die kleinste Lücke in den Akten hinterlassen, da er der polizeilichen Meldung für den Militärdienst ohne Zweifel aus dem Weg gegangen ist. Und wenn er nicht Geisel genug sein sollte, um uns Eurer Kooperation zu versichern, so bleiben immer noch unsere Gastgeber» – der Pistolenlauf schwenkte auf Chiquinho und Polidora, die bereitstanden, um das Abendessen aufzutragen – «und deren zwei Kinder. Es könnte sein, daß diese Kinder vom Spielen auf der Straße heimkehren und ihre Eltern tot vorfinden, und wenn diese Todesfälle auch nicht unbemerkt bleiben können, so ist unsere Polizei doch hinreichend überlastet, um die Urheber niemals ausfindig zu machen. Glaubt nicht, daß dies eine leere Drohung ist. Die Wirklichkeit wird immer mehr zu einer Frage der Statistik, und in einem Land, das so groß ist wie Brasilien, gehen wir in der Statistik unter.»
Jetzt war es an Chiquinho, zu protestieren: «Es waren meine freiwilligen Informationen, die euch hergeführt haben, und ihr bedroht dafür mein Leben!»
«Ein Mann, der seinen eigenen Bruder verrät, hat den Tod verdient», entgegnete Virgílio kühl, und zu Tristão gewandt, fügte er mit einem Lächeln, das einnehmend schiefe, wie Füße bei einem komplizierten Tanzschritt voreinanderstehende Zähne enthüllte, hinzu: «Siehst du, was für ein guter und loyaler Freund ich dir schon bin? Ein Bruder im Geiste ist manchmal mehr wert als ein Blutsbruder.»
Isabel, die noch immer aufrecht stand, wirkte gedehnt und verwunden, als zögen unsichtbare Drähte an ihr. Es war seltsam, überlegte Tristão, wie die beiden grauen Pistolen, wie zwei Bleistifte, die Geometrie des Raumes neu entworfen und eine Vielzahl von Möglichkeiten auf die
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