Brasilien
Fluges gehalten hatte. César war ein Autodidakt von Graden: Er legte Wert darauf, mindestens ein Buch pro Woche zu lesen, und hatte sich selbst genug Spanisch, Französisch und Englisch beigebracht, um es im Original tun zu können. Deutsch kam ihm, bis auf weiteres, noch etwas undurchsichtig vor. Eines Tages, wenn seine Laufbahn als Erpresser und bezahlter Killer an ihrem Ende angelangt war – «es ist ein Spiel für junge Männer, liebes Fräulein; wenn man alt wird, wird das Herz zu weich» –, wollte er sich eine eigene Limousine zulegen und Reiseführer werden. Und zwar nicht nur in den Städten, wo die durchreisenden Geschäftsleute nichts anderes im Sinn haben als eine sexy Mulattin zu finden, sondern draußen auf dem Land, wo reiche Witwen und Lehrerinnen aus Kanada darauf brennen, Bilderbuchstädte wie Ouro Prêto und Olinda, die Zeugnisse unserer kolonialen Vergangenheit, vorgeführt zu bekommen und die berühmten Barockkirchen mit den Seifensteinplastiken von Aleijadinho – «ein Zwerg und Krüppel, liebes Fräulein, und sein Vater ein schwarzer Sklave; wer sagt, daß es ein guter Mann in Brasilien zu nichts bringen kann?» – und natürlich das sagenhafte Amazonien, das weltbekannte Opernhaus von Manaus und die unendliche Weite selbst, die von ganz allein eine Touristenattraktion werden wird, je mehr der Welt der freie Raum ausgeht. Nur Sibirien und die Sahara kommen Brasilien an schierer Weite gleich, und bei beiden ist das Klima höchst beklagenswert. Deshalb hat die Regierung in ihrer Weisheit Brasília gegründet und schlägt überall Straßen durch den jungfräulichen Dschungel – «Straßen sind der Fortschritt, liebes Fräulein, und dem Mann, der sie befahren kann, gehört die Zukunft!»
All diese falsche Väterlichkeit klang ihr in den Ohren, die vom Unterdruck in der Flugzeugkabine noch immer taub waren, als Isabel in dem kleinen Zimmer am Ende eines langen, leicht gebogenen Ganges zu Bett ging. Es war «ihr» Zimmer, möbliert mit einem schmalen Bett und einem leeren Schreibtisch, und doch hatte sie von ihren achtzehn Jahren keine hundert Nächte hier verbracht. Ihr Vater, der erst an diesem Tag aus Dublin zurückgekommen war, schlief natürlich schon. Sie konnte ihn sich genau vorstellen, bewegungslos wie eine Puppe mit einer schwarzen Augenbinde über dem Gesicht. Jahrelange Übung in Jetreisen hatte ihm die Fähigkeit eingebracht, auf Knopfdruck zu schlafen. Er hatte vor, sich am nächsten Morgen mit seiner Tochter zusammenzusetzen, beim Frühstück um halb zehn, wie ihr der großgewachsene Diener, ein pardo mit einem trübseligen Farbstich ins Grünliche, mitteilte. Eine rundliche kleine Frau in einer gestärkten blauen Dienstmädchenuniform, vielleicht die Ehefrau des Dieners, fragte sie, ob die Senhora irgendwelche Wünsche hätte – eine vitamina, eine Schlaftablette, eine zusätzliche Decke? Das Paar – der eine schlank, die andere dick und beide so unterwürfig wie wachsam – erinnerte Isabel an den treulosen Chiquinho und seine Polidora, und so schob sie sie unwirsch zur Seite, um endlich allein zu sein mit ihrem Kummer, um dessen Bitterkeit zu schmecken, um dessen Grenzen zu erspüren.
Sie erkannte, daß ihre Rebellion ihr neuen Respekt und Beachtung auf seiten jener eingetragen hatte, die Macht über ihr Leben hatten. Es war der Weg, wie man den Mächtigen dieser Welt den Schleier vor ihrer Verletzlichkeit und ihrer Feigheit fortreißt, so überlegte sie, während sie nackt in das blütenweiße, jungfräuliche Bett schlüpfte. Ihre Nacktheit kam ihr wie ein Protest gegen die rechtwinklige Stadt vor, die sie umgab, Brasiliens Herzgefängnis, und wie eine Wiedervereinigung ihres Körpers mit Tristãos Schwärze. Sie wollte für seine Sicherheit beten, aber beim Gedanken an einen Gott trat ihr nur Tristão selbst vor Augen, sein dunkler Blick der Sehnsucht und der möglichen Herrschaft, den er damals auf sie gerichtet hatte bei ihrer ersten Begegnung am gleißenden Strand.
Ihr Vater, der mit Vornamen Salomão hieß, war älter und kräftiger als Onkel Donaciano, aber trotzdem von kleinerer Statur, mit einem schon kahl werdenden Kopf, unter dem sich die Stirn nach vorn ausbuchtete, als flösse sie davon. Beim Frühstück trug er einen kastanienbraunen, seidenen Morgenmantel über seinen graugestreiften Hosen und Pantoffeln über feingerippten, schwarzen Socken, die bald in den schmalen Lacklederschuhen eines Diplomaten und Politikers verschwinden würden. Isabel bemerkte,
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