Brasilien
betrachtete, an denen jeder kleine Muskel so stark entwickelt war, daß die Haut spannte, und deren Innenflächen mit einer Hornhautschicht verrieten, wie er den Drehmomentschlüssel packte.
Sein Arbeitspartner war im zweiten Jahr ein gutmütiger, linkshändiger cafuzo aus Maranhão namens Oscar. Da sie beim Einsetzen und Anziehen der sechs Bolzen (vier große und zwei kleine), die den kompakten, bulligen Motor im Heck des Käfers arretierten, den ganzen Tag lang in strikter Symmetrie arbeiten mußten, war Oscars breites, flaches Gesicht, in dem sich Gene von Bord eines afrikanischen Sklavenschiffs mit solchen aus Sibirien mischten, die zu Fuß bis in die Schwüle Amazoniens gelangt waren, für Tristão bald vertrauter als sein eigenes. Wenn er in den beschlagenen Spiegel im Waschraum der Arbeiter blickte, kam ihm das Gesicht, das er dort sah, wie eine Fata Morgana, wie ein Irrtum vor – zu dunkel, zu viel Stirn, zu dick die Lippen, zu intensiv der Blick. Oscar hatte eine breite Lücke zwischen den beiden Schneidezähnen, und Tristão erschien seine eigene, normale Zahnstellung im Spiegel schmerzhaft eng verkeilt, so sehr hatte er sich an das schwarze Loch in Oscars schelmischem, kumpelhaftem Grinsen gewöhnt.
Um sich die Langeweile zu vertreiben, bauten sie manchmal einen Motor verkehrt herum ein, und wenn die Arbeiter weiter unten am Fließband mitspielten, wo die Kabel und Schläuche angeschlossen wurden, kroch der unverwüstliche kleine Käfer am fernen, südlichen Ende der Fabrik tatsächlich aus eigener Kraft aus dem Werkstor und transportierte sich und seinen Fahrer ein paar hundert Meter weit zu dem großen Abstellplatz, wo die Verladung vonstatten ging. Der Volkswagen war eine großherzige Maschine, erläuterte Oscar, die ein berühmter deutscher Zauberer namens Hitler erfunden hatte, um sein Volk damit zu einem Ort namens Walhall zu befördern.
Hätte man ihren Streich entdeckt, so wären Oscar und Tristão gefeuert und wegen Sabotage ins Gefängnis geworfen worden. Begriffe aus Kriegszeiten waren im Brasilien der Militärdiktatur die übliche Verwaltungssprache. Tristão hätte es nicht das geringste ausgemacht, seinen Job zu verlieren, aber das Gefängnis fürchtete er, weil es ihn noch weiter von Isabel entfernt hätte. Noch immer hielt er an seinem Traum von der Liebe fest, auch wenn er keineswegs völlig keusch lebte. In Chiquinhos Nachbarschaft fanden sich, von spielenden Kindern angeschleppt, eine ganze Anzahl williger großer Schwestern, und selbst in der Fabrik konnte man, trotz der tyrannischen Strenge der Vorschriften, die die Regierung und die sindicatos in heimlicher Komplizenschaft erlassen hatten, durchaus Kontakte knüpfen oder sogar, in Kaffee- und Pinkelpausen, zur Tat schreiten. Trotzdem hatte er sich die Reinheit seiner Seele bewahrt, jenes spirituellen Organs, in dem sein Leben sich nach seiner gültigen Gestalt sehnte.
Virgílio, der schlankere und jüngere der beiden Gangster, hatte Tristão anfangs lückenlos bewacht, ihn am Fabriktor abgeholt, alle kleinen abendlichen Freizeitvergnügungen mit ihm geteilt und im gleichen Raum mit ihm geschlafen, sein Bett als Riegel vor der Tür. Doch während der langen Stunden, die Tristão in der Fabrik verbrachte, war er der Verführung eines Fußballvereins erlegen, der Tiradentes aus Moóca. Ihr Training dauerte manchmal bis in den späten Nachmittag, und die Auswärtsspiele hielten ihn zunächst bis in die Abendstunden fern und bald auch über Nacht und schließlich tagelang. Chiquinho, Polidora und Tristão spekulierten, ob nicht auch eine Frau dahinterstünde – denn es gab genügend Mädchen, die für einen Fußballhelden alles taten und noch mehr für einen, der eine Knarre im Halfter trug – oder ob ihn die geheimnisvollen poderosos, die Allmächtigen, womöglich auf einen neuen, dringenderen Fall angesetzt hatten.
Besorgt mahnte Chiquinho: «Glaub ja nicht, Bruder, daß Virgilios Saumseligkeit einen Freibrief für dich darstellt, wieder deiner romantischen Narretei nachzugehen. Die Allmächtigen wissen, wo sie mich finden, und wenn du ihrer Wachsamkeit entkommen solltest, werden sie an mir und meiner unschuldigen Familie Rache nehmen. Es könnte sein, daß ich die kleine Esperança oder Pacheco mit aufgeschlitzter Kehle in meinem Vorgarten finde. Es könnte sein, daß Polidora entführt und von einer ganzen Bande vergewaltigt wird. Von mir selbst will ich gar nicht sprechen – ich appelliere an deinen Anstand als Onkel und als
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