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Brasilien

Brasilien

Titel: Brasilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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der Speisekammer der Hütte zusammengerafft, einen mageren Dreitagesvorrat an Milchpulver, Trockenbohnen, xarque, Mateblättern und säuerlichen, harten Kuchen aus Maniokmehl. Auf dem Kopf balancierte sie, abwechselnd mit Isabel, das unhandliche, aber nicht schwere Bündel aus zusammengerollten Netzen und Decken und einem alten Ochsenfell, das, auf dem Boden ausgebreitet, beißende Ameisen und die in der Erde lebenden giftigen Spinnen fernhalten sollte.
    Sie lagerten in dieser ersten, schrecklichen Nacht auf einem Felsenvorsprung, keine zwei Meilen von der Goldmine entfernt. Die drei Erwachsenen wachten abwechselnd, während ihr Feuer flackerte und die Finsternis rundum raschelte und übervoll war von unsichtbaren Lebewesen oder Geistern. Selbst die Bäume schienen Stimmen zu haben und streckten ihre Äste nach ihnen aus wie Raubtiere. Die ganze Nacht hindurch erschollen ängstliche Schreie aus dem Dunkel, in dem der Tod umging. Doch die nebelgraue Morgendämmerung fand die heimatlosen Wanderer unversehrt vor, sich räuspernd und die Augen reibend, um die klebrige Nachhut des Schlafes zu vertreiben und die Last des Überlebens neu zu schultern. Allen gebahnten Pfaden aus dem Wege gehend, kämpften sie sich durch die geröllübersäten Täler der Dourados, wobei sie die Richtung gegen den Sonnenuntergang einhielten, auf die endlose, hügelige Hochfläche des Mato Grosso zu. Der Himmel über ihnen wurde immer freier und gewaltiger, als hätte Gott die Schwerarbeit der Schöpfung mit einem erleichterten Seufzer eingestellt und sich mit ein paar niedrigen Dornengestrüppen begnügt, einem Gemisch aus Kakteen, Buschwerk und hohem Gras, hier und da unterbrochen von einem beiläufigen Wald. Der auffälligste Baum des mato war die Brasilianische Schirmtanne, bei der jeder neue, dunkle Ast über den darunterliegenden hinausreichte, bis eine sauber abgestufte, auf der Spitze stehende Pyramide entstanden war. Kupehaki zeigte ihnen, wie man aus der verrottenden Rinde solcher Riesen, wenn sie gestürzt waren, fleischige, weiße Würmer herausschälte, die coró hießen und die man roh, lebendig und sich windend verspeisen konnte, wenn man kein Feuer hatte oder machen wollte. Wenn man den inneren Schweinehund erst überwunden hatte, schmeckten sie wie Kokosbutter.
    Kupehaki war es auch, die ihnen in den Tagen und Wochen ihrer Wanderung nach Westen, quer durch den Mato Grosso, zeigte, wie man Fledermäuse und Eidechsen, Kröten und Spinnen und Heuschrecken fing, wie man Larven ausgrub, wie man Wasser aus dem Bombaxbaum molk, welche Beeren man pflücken und um welche giftigen man einen Bogen machen sollte, welche Körner und Nüsse die Mühe des Erntens und Knackens wert waren und wo man die Honigwaben der stachellosen kleinen Bienen fand, die «Augenlecker» genannt wurden, weil sie sich an menschlichem Schweiß gütlich taten und sich in wütenden Schwärmen auf Nasenlöcher, Tränengänge und feuchte Mundwinkel stürzten. Sie waren schlimmer als Stechmücken oder Maribondo- Wespen, diese winzigen Bienen, die lieber den ekstatischen Tod in den Sekreten des menschlichen Gesichts suchten als davonzufliegen.
    Auf der Serra do Buraco war das Innerste der Natur nach außen gekehrt worden – herausgemeißelt und ans Licht geschleppt und zu Staub zermahlen von der menschlichen Gier nach Gold. Hier, im endlosen, gleichförmigen Busch und auf der fleckigen Savanne, auf den trockenen, von Rinnsalen brauner Flüsse unterbrochenen Hochflächen des chapadão , wurde der Mensch auf den bescheidenen Rang zurückverwiesen, den er im Kampf ums Dasein, in diesem Ozean von hungrigen Proteinen, im schäumenden Delirium des Fressens und Gefressenwerdens einnahm. Kupehaki zeigte ihnen, wie sie, mit Hilfe von Tristãos Rasierklinge, die grauen Parasiten herausschneiden konnten, die sich mit heimtückischer Schmerzlosigkeit in ihre Beine fraßen, und wie sie sich blitzschnell nackt ausziehen mußten, wenn ein unscheinbares Blatt, das sie versehentlich berührt hatten, einen Schauer von winzigen, orangeroten Zecken über sie ergoß, die sich wie ein Feuerbrand unter ihren Kleidern verteilten. Wenn es nicht gelang, diese Eindringlinge auf der Stelle abzustreifen und auszuklopfen, würden sie sich binnen einer Minute tief in ihr Fleisch gebohrt haben. Es war Kupehaki, die Tristão zeigte, wo er im Busch Dürrholz fand und wie er, als alle Zündhölzer verbraucht waren, das abendliche Lagerfeuer mittels zweier rasch gedrehter Stöckchen in einer Mulde mit

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