Braut von Assisi
die Länge, und die Sonne war schon untergegangen, als sie die Stadt endlich erreichten. Die ersten Lichter, die in den Häusern entzündet wurden, tauchten sie in ein warmes Licht, das mit dem schattierungsreichen Braun der Steine, aus denen die Gebäude in traditioneller Bauweise errichtet waren, harmonierte.
Die Gassen waren noch gut belebt, Kinder stritten um einen Lumpenball, zwei Frauen riefen sich aus gegenüberliegenden Häusern etwas zu, ein blinder Bettler hielt seine Hand für Almosen auf. Aber etwas, das nach einer Herberge aussah, entdeckten die beiden Reisenden nirgendwo.
»Ich gehe fragen«, sagte Stella entschlossen und verschwand um die nächste Ecke, während Leo mit der Stute zurückblieb.
Schon bald kam sie wieder zurück. »Zwei Straßen weiter«, sagte sie, »ein Stück bergauf. Wir scheinen übrigens nicht die einzigen Fremden hier zu sein. Zwei andere hat der Mann, den ich um Auskunft gebeten habe, vor ein paar Tagen bereits dorthin geschickt.«
Die Herberge war zweistöckig und strahlte eine gewisse Kühle aus, was an den dunklen Steinen liegen mochte, aus denen sie errichtet war.
»Dicke Mauern halten die Hitze besser ab«, erklärte Stella müde und durchgeschwitzt. »In Eurer Heimat mag das wenig Bedeutung haben, aber hierzulande sind wir froh darüber.«
Sie waren erleichtert, im Hof eine Zisterne vorzufinden sowie einen provisorischen Stall, in dem Fidelis unterkommen konnte. Die Box neben der ihren war leer.
»Scheint ganz so, als wären die anderen Fremden schon
wieder weitergereist«, sagte Leo. »Hoffentlich nicht, weil ihnen die Unterbringung so wenig zugesagt hat.«
»Vielleicht sind sie ja auch zu Fuß unterwegs«, meinte Stella, während ihnen der korpulente Wirt, der sich als Pino vorgestellt hatte, die freien Zimmer zeigte, zwei schmale Kammern am Ende eines langen Gangs.
Das Stroh schien frisch, es gab jeweils ein winziges Fenster, das zum Hof zeigte, und der Preis war vernünftig. Leo entschloss sich zum Bleiben.
Als Abendessen servierte die Wirtin scharf gewürztes Spanferkel, über das sie ausgehungert herfielen, dazu das ungesalzene Brot der Region, Saubohnen und einen Krug Rotwein.
Leo und Stella wechselten während des Essens nur wenige Worte, so erschöpft waren sie. Und während er anschließend noch einmal in den Stall ging, um Fidelis zu versorgen, musste sie sich regelrecht nach oben schleppen, um nicht am Tisch einzuschlafen.
Am anderen Morgen weckte sie ein durchdringender Hahnenschrei, aber sowohl Leo als auch Stella ließen einige Zeit verstreichen, bevor sie das Bett verließen, um sich später in der Wirtsstube die Morgensuppe schmecken zu lassen. Pino war nirgendwo zu sehen, doch seine Frau Antonella wuselte um die beiden in einer seltsamen Mischung aus übertriebener Aufmerksamkeit und kaum verhohlener Neugierde herum, die Leo irgendwann zu viel wurde.
»Sagt ihr doch, sie soll uns in Ruhe lassen!«, bat er Stella. »Ich möchte mich innerlich sammeln, bevor wir nach Fonte Colombo reiten.«
Stella sagte ein paar Worte, woraufhin Antonella sich mit hochrotem Gesicht in die Küche zurückzog.
Dann brachen sie auf, die Kühle des Morgens nutzend, bevor die Sonne erneut erbarmungslos auf sie herabbrennen würde. Fidelis schien gut ausgeruht, tänzelte, wieherte, und als Stella abstieg, um eine Weile zu Fuß nebenherzugehen, boten Reiter und Stute ein so inniges Bild der Vertrautheit, dass sie sich rasch abwenden musste.
Sie hatte von Leo geträumt, in einem Traum, an den sie sich nicht mehr genau erinnerte. Doch was sie noch wusste, war das Gefühl eines jähen Verlusts gewesen, das sie nicht ganz loslassen wollte. Immer wieder glitt ihr Blick zu ihm, der ganz vertieft in die Zwiesprache mit seinem Pferd zu sein schien, als ob es sie gar nicht mehr gäbe.
Und wenn Ilaria doch recht gehabt hatte mit all dem, was sie ihr in ihrer direkten Art an den Kopf geworfen hatte? Plötzlich schien der Tag einiges von der Frische seines Beginns verloren zu haben. Er ist ein heiliger Mann, dachte Stella bedrückt, der seiner Kirche und seinem Heiligen gehört. Besser, du findest dich rechtzeitig damit ab.
Als sie wieder zu ihm aufs Pferd stieg, achtete sie peinlich darauf, ihren Rücken möglichst aufrecht zu halten, um Leo nicht zu berühren. Ob er dies wirklich mitbekam, vermochte sie nicht zu sagen, aber das Schweigen zwischen ihnen wurde auf einmal lastend.
Im Dorf angekommen, verständigten sie sich darauf, gleich zur Einsiedelei weiterzureiten,
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