Braut von Assisi
des Frühstücks verzehrten, die sie vorsorglich mitgenommen hatten. Immer wieder spürte Stella, wie Leos Blicke in Richtung Kloster gingen.
»Fühlt Euch ganz frei, padre! «, sagte sie plötzlich. »Ich habe Euch zwar meine Hilfe angeboten, aber das bedeutet nicht, dass Ihr ständig Rücksicht auf mich nehmen müsst. Geht zu den Brüdern, wenn Ihr wollt, und ruft mich nur, wenn Ihr mich braucht. So und nicht anders war mein Angebot gemeint.«
Sichtlich erstaunt sah er sie an und nickte dann kurz. »Mit Euch zu reisen ist mehr als ungewohnt für mich«, sagte er mit einem kleinen Lächeln. »Das müsst Ihr wissen. Weder seid Ihr ein Mann noch ein Bruder …«
Beide begannen gleichzeitig zu lachen.
»Ich fürchte, mit beidem kann ich leider nicht dienen«, sagte Stella. »Obwohl ich in meinem Bündel tatsächlich ein Beinkleid habe. Doch es zu tragen, ist mehr als ungewohnt
für mich. Fürs Erste behalte ich daher lieber meine Röcke an.«
Sie brachen auf und ritten durch einen schattigen Wald. Der Weg war schmal und schraubte sich höher und höher, bis die Bäume weniger wurden und ihnen einen Ausblick über das ganze Tal erlaubten.
Als die Schatten länger wurden, erreichten sie Patrico, wo nur wenige steinerne Gehöfte standen. Leo stieg ab und verzog dabei schmerzerfüllt das Gesicht.
»Wir sollten hierbleiben«, sagte Stella. »Dann habt Ihr Zeit, Euch zu erholen.«
Bevor er noch protestieren konnte, hatte sie an die nächste Tür geklopft und brachte, als geöffnet wurde, ihr Anliegen lächelnd vor. Die junge Bauersfrau bot ihnen den Heuschober als Schlafplatz an und tischte, als die Sonne sich zum Sinken bereit machte, ein überraschend schmackhaftes Gericht aus Hühnerklein und diversen Innereien auf, das nicht nur bei ihrer vielköpfigen Familie, sondern auch bei den zwei unerwarteten Gästen auf großen Zuspruch stieß.
Schlaf freilich fanden die beiden dann schwer. Nur eine Elle trennte sie auf dem engen Lager voneinander. Kaum bewegte sich der eine, wurde auch der andere wieder wach. Stella schlief schließlich als Erste ein. Leo dagegen verbrachte lange Stunden damit, ihren gleichmäßigen Atemzügen zu lauschen, während er sich bemühte, sich nicht unruhig von einer Seite auf die andere zu wälzen.
Am nächsten Morgen bekamen sie Getreidebrei und heiße Milch. Dann führte sie der Weg in endlosen Windungen stundenlang bergab. Fidelis schien zum ersten Mal überanstrengt und scheute einmal sogar, ließ sich aber von Leo, der abstieg und sie besänftigte, wieder beruhigen.
»Die Karte mag ja richtig sein«, sagte er stöhnend, als
der Weg so gar kein Ende nehmen wollte. »Was freilich noch lange nicht heißt, dass wir die beste Route gewählt haben.«
»Wieso habt Ihr Euch eigentlich für Rieti entschieden? «, fragte Stella, die immer wieder mit Mückenattacken zu kämpfen hatte. Zahlreiche Stiche, die sie aufgekratzt hatte, weil sie den Juckreiz kaum ertragen konnte, leuchteten rot auf ihrer blassen Haut, während die gierigen Blutsauger Leo zu verschonen schienen.
»Mehr aus einem Gefühl heraus«, antwortete Leo wahrheitsgemäß. »Ich habe diese Karte so lange und intensiv studiert, bis mir beinahe die Augen herausgefallen sind. Wir könnten zwar schon von hier aus über die Berge nach Poggio Bostone. Doch das erscheint mir eher riskant.«
Stella zuckte die Schultern. »Das müsst Ihr beurteilen, padre «, sagte sie. »Für mich sind das lediglich Namen, mit denen ich nichts verbinde. So weit weg von Assisi war ich noch nie.«
»Für Franziskus waren diese Orte ein wichtiger Teil seiner Welt«, rief Leo. »Hierher hat er sich gern mit den engsten Vertrauten zurückgezogen. Hier hat er unsere Ordensregel verfasst, hier das Weihnachtswunder von Greccio erlebt. Jeder dieser Orte steht für eine entscheidende Station seines Lebens.« Sein Gesicht schien zu glühen, so aufgeregt war er auf einmal. »Deshalb erscheint mir Rieti als das Zentrum, von dem aus leuchtende Strahlen zu den einzelnen Einsiedeleien führen. Übrigens wohl kein ganz kleiner Ort. So werden wir dort gewiss auch eine halbwegs ordentliche Unterkunft finden.«
Kein Wort mehr über die absolute Armut. Hatte ihre Anwesenheit ihn dazu gebracht, oder gab es andere Gründe, warum er nicht mehr über dieses Thema sprach? Sein Bein jedenfalls war am Heilen. Nur unbedachte Bewegungen
oder zu langes Verharren in einer Position verursachten ihm noch Schmerzen.
Allerdings zog sich der Weg hinauf ins Hochtal, in dem Rieti lag, in
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