Braut von Assisi
bergauf, durch einen Eichenwald, wo riesige alte Bäume mit rauer Rinde vereinzelt mit helleren Buchen abwechselten, die sich mit starkem Wurzelwerk an den unebenen Untergrund zu klammern schienen. Schließlich gelangten sie zu einer kleinen Quelle, die aus einem moosbewachsenen Felsen sprudelte.
Leo zügelte Fidelis. Sie stiegen ab, und er tränkte zuerst das Pferd, das sie so sicher hierhergetragen hatte. Dann formte er die Hände zu einem Becher, um seinen eigenen Durst mit dem kühlen Wasser zu stillen.
»Hiervon muss auch er getrunken haben.« Seine Stimme hatte etwas Schwärmerisches bekommen. »Und damals haben sich offenbar Tauben zu Franziskus gesellt, so hat dieser Ort seinen Namen erhalten.«
Stella stieß ihn schweigend in die Seite.
Zwei Täubchen hatten sich auf dem Rand der hölzernen Einfassung der Quelle niedergelassen, eines schneeeweiß, das andere muschelgrau wie der frühe Morgen. Sie putzten sich ausgiebig das Gefieder, bevor sie ihre Schnäbel ins klare Wasser tauchten, um zu trinken.
»Qui siete?« Ein gebückter Mann in einer ausgefransten Kutte stand plötzlich neben ihnen. »Que volete?«
»Er will wissen, wer wir sind«, übersetzte Stella. »Und was wir hier wollen.«
»Sagt es ihm!«
Beide konnten sehen, wie das zerknitterte Gesicht des Mannes sich bei Stellas Worten entspannte. Nun redete er weiter, worauf Stella allerdings errötete.
»Was hat er gesagt?«, drängte Leo. »Hat er Euch beleidigt? «
»Nichts von Bedeutung.« Sie starrte auf ihre Füße.
»Ich möchte es trotzdem gerne wissen«, beharrte er.
»Dass schon lange keine Frau mehr hier oben gewesen sei. Und erst recht keine so schöne.« Sie griff nach dem Pferdehalfter, als suche sie auf einmal Halt. »Wir sollen ihm folgen. Sein Platz sei bescheiden, hat er gesagt, aber geheiligt.«
Der Einsiedler ging voran, gebückt zwar, aber dennoch erstaunlich behände. Unter seiner zerschlissenen Kutte
ragten braun gebrannte, kräftige Waden hervor, und auch die muskulösen Arme verrieten lange Jahre harter Arbeit. Mit der Tonsur schien er es nicht allzu genau zu nehmen. Silberne Locken hatten sie nahezu überwuchert, und unwillkürlich fasste sich auch Leo an den Kopf, um festzustellen, dass es bei ihm schon wieder nicht sehr viel anders aussah.
Schließlich kamen sie zu einem unscheinbaren Steingebäude, neben dem drei halb verfallene Laubhütten standen.
»Das Kirchlein befindet sich ein Stück weiter unten«, übersetzte Stella. »Francesco hat es mit seiner eigenen Hand geheiligt.«
Es war kaum mehr als eine winzige Kapelle, die sie schließlich betraten, doch Leo erinnerte sie so stark an Portiuncula, dass er kaum noch sprechen konnte. Der steinerne Altar in Kreuzform, das einfache Holzkruzifix darüber – und dann in einer Nische ein hellrotes τ .
Abermals begann der Einsiedler zu reden.
»Fra Sebastiano sagt, Francesco habe das Tau eigenhändig an die Wand gemalt. Von hier aus hat es dann seinen Siegeszug in die ganze Welt angetreten.« Sie hörte dem Eremiten wieder zu. »Diese Kapelle ist der Heiligen Magdalena geweiht, ein Herzenswunsch Francescos, der sich unter anderem hier aufgehalten hat, um von seinem Augenleiden kuriert zu werden, das er sich im Heiligen Land zugezogen hatte. Die schlimmsten Qualen hat er auf sich genommen, unter anderem hat man ihm mehrmals glühende Eisen auf die Schläfen gelegt, um seine Sehkraft wiederherzustellen. Doch nichts und niemand konnte letztlich sein Augenlicht retten.« Inzwischen rannen Tränen über Stellas Gesicht, so bewegt war sie. »›Ich leide nicht!‹, soll Francesco damals gerufen und sich bei Bruder Feuer dafür bedankt haben, dass er so schön heiß für ihn
glühe. ›Was bedeuten meine geringen Schmerzen schon angesichts des Leids, das diese Frau erdulden muss!‹«
Leo trat einen Schritt zurück. In seinem Nacken begann es zu kribbeln.
»Fragt ihn, ob er Suor Magdalena vom Kloster San Damiano kennt«, sagte er zu Stella.
Stella übersetzte. Fra Sebastiano schüttelte den Kopf.
Leo war noch immer nicht überzeugt. »Er hat also niemals von ihr gehört?«, beharrte er.
»Welcher Mönch hätte noch niemals den Namen Maria Magdalena gehört?«, übersetzte Stella. »Fra Sebastiano freut sich über Euren Besuch, aber er möchte wissen, was genau Euch dazu bewogen hat – ausgerechnet jetzt.«
»Wieso fragt er das?«, wollte Leo wissen.
»Weil Ihr nicht der einzige Fremde seid, der ihn in letzter Zeit aufgesucht hat. Andere waren kurz vor Euch da.
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