Braut von Assisi
Männer mit offenbar ganz ähnlichen Fragen.«
Als ob ein ganzer Bienenstock auf einmal in Leos Nacken brütete.
»Welche Männer?«, fragte er. »Hatten sie auch Namen?«
Fra Sebastiano zog die Schultern hoch. Sein breites, sonnenverbranntes Gesicht bekam auf einmal einen einfältigen Ausdruck, der eigentlich gar nicht zu ihm passte.
Er weiß genau, wie man sich dumm stellt, dachte Leo. Sie könnten Brüder sein, denn dieser Alte ist nicht minder gerissen, als Giorgio es gewesen ist.
Der Einsiedler wandte sich zum Gehen.
»Wir können ihn doch so nicht fortlassen«, rief Leo. »Nicht, bevor er meine Fragen anständig beantwortet hat.«
Stella rief dem alten Mönch etwas nach, und tatsächlich hielt er inne und drehte sich zu ihr um. Während sie weiterredete, veränderte sich sein Gesichtsausdruck und wurde
ungläubig. Dann jedoch verschloss Traurigkeit seine Züge wie ein feinmaschiges Netz.
»Was habt Ihr zu ihm gesagt?«, wollte Leo wissen. »Er weint ja gleich!«
»Dass Fra Giorgio tot ist. Hinterhältig ermordet«, erwiderte sie mit fester Stimme. »Und dass Ihr nach dem Mörder sucht.«
»Und wieso dreht er sich dann um und geht einfach davon? «
»Woher soll ich das wissen!« Stella klang bedrückt. »Ich habe doch nichts Böses gesagt!«
Plötzlich blieb der Eremit noch einmal stehen, schaute zurück über seine Schulter und rief ihnen etwas zu.
Stellas Miene hatte sich wieder aufgehellt. »Wir sollen morgen wiederkommen«, übersetzte sie. »Wenn die Sonne im Zenit steht. Dann will Fra Sebastiano uns seinen kostbarsten Schatz zeigen.«
»Aber was hat das alles mit meinen Fragen zu tun?«, sagte Leo kopfschüttelnd. »Vielleicht hat die lange Einsamkeit ihn ein wenig wunderlich gemacht.«
Stella fuhr zu ihm herum, so aufgebracht, wie er sie noch nie gesehen hatte.
»Ihr strebt dem Heiligen nach, padre ?«, rief sie. »Ihr wollt Francesco folgen, seinen Wegen, seinem Leben, seinen Gedanken – doch wie könntet Ihr das, wenn Ihr weder die Kraft noch den Mut besitzt, noch an Wunder zu glauben? «
Er sah ihr nach, als sie hocherhobenen Hauptes zu dem Baum zurückging, an den sie Fidelis gebunden hatten.
Musik, dachte er. Ihr Körper ist wie Musik – und ihre Seele erst recht!
Sieben
B eide waren sie nachdenklich erwacht, sowohl Leo, der sich nach dem Frühstück im Stall verkrochen hatte, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt, als sich um Fidelis zu kümmern, wie auch Stella, die seit den frühen Morgenstunden gegen ein flaues Gefühl im Magen zu kämpfen hatte, das nicht mehr weichen wollte. Dazu kam, dass sie sich schon seit gestern von Antonella beobachtet fühlte, als ob die Wirtin jeden Schritt, jede Bewegung registrieren wollte.
»Reitet Ihr heute wieder nach Fonte Colombo?«, fragte die Wirtin schließlich, als Stella so gar nicht mit der Sprache herausrücken wollte. »Ihr müsst wissen, Padre Sebastiano, der diesen Platz hütet, genießt weit und breit einen ausgezeichneten Ruf. Manche halten ihn für einen Heiligen, obwohl uns natürlich auch die anderen Einsiedler am Herzen liegen, die ein Stück von Rieti entfernt leben. Sie alle beschützen uns und halten das Böse von uns fern, daran glauben wir fest. Wären sie einmal nicht mehr, so brächte das womöglich großes Unglück über unser Tal.«
»Weil er Wunder wirken kann?«, fragte Stella.
»Von Wundern weiß ich nichts«, sagte die Wirtin. »Aber der padre ist freundlich und fromm, und jeder, der bedrückt zu ihm kommt, geht erleichtert wieder nach Hause.«
»Wie lange lebt er eigentlich schon dort?«, fragte Stella.
Ein Schulterzucken. »Mehr als dreißig Jahre. Schon unsere Eltern sind zu der kleinen Kirche gepilgert, in der
Francesco gepredigt hat. Nachdem der Heilige tot war und nicht mehr zu uns nach Rieti kommen konnte, haben sie wie viele andere diesen schönen, alten Brauch beibehalten.«
»War Padre Sebastiano dort immer schon allein?«
»Wo denkt Ihr hin! Anfangs war es eine ganze Schar von Brüdern, die nahe der Quelle wohnte, doch ein Leben in der Waldeinsamkeit ist eben sehr hart und eignet sich nicht für jeden, auch wenn der Glaube noch so groß ist. Einige sind krank geworden und gestorben, einige an andere Orte berufen worden, wie man sich erzählt, und schließlich ist er eben allein zurückgeblieben.« Antonella strich ihre Schürze glatt. »Aber was schwatze und schwatze ich da? Dabei sollte ich doch längst schon auf dem Markt sein, sonst sind die besten Bohnen wieder ausverkauft.«
Mit
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