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Braut von Assisi

Braut von Assisi

Titel: Braut von Assisi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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davonmachten. Leo fühlte sich etwas erleichtert. Jetzt stand nur noch diese spröde Übersetzerin zwischen ihm und der madre , ein Problem allerdings, von dem er noch immer nicht wusste, wie er es lösen sollte.
    Leo erschrak, als er die Äbtissin sah. Ihr Schädel erinnerte ihn an den eines toten Vögelchens. Die Augen lagen so tief in den Höhlen, dass sie fast gespenstisch wirkten. Die blasse Haut hatte inzwischen einen ungesunden olivfarbenen Schimmer angenommen.
    Der Tod war schon im Raum, das war unübersehbar.
    Dennoch schien die Kranke Leo sofort zu erkennen. »Sei tu, Leo?« , sagte sie mühsam. »Sei ritornato?«
    »Ja, ich bin zurück«, sagte er und trat langsam näher.
    Sie hatten das Krankenzimmer ausgeräuchert, und er
war dankbar dafür. Das Aroma von Salbei und Myrrhe überdeckte wenigstens oberflächlich die süßlichen Ausdünstungen des ausgemergelten Körpers. Die Äbtissin war offenbar dabei, bei lebendigem Leib zu verfaulen, schoss es Leo durch den Kopf. Wenn der Heilige Vater sich nicht beeilte, würde er nur noch ein Häuflein Knochen vorfinden.
    »Allora …« Da hing sie im Raum, die große, die eine Frage, die er noch nicht offiziell bejahen konnte!
    Er schickte ein stummes Gebet zur Heiligen Jungfrau und fing an zu berichten. Er begann mit dem Besuch bei Fra Sebastiano, ließ dessen tragischen Tod folgen, schloss an mit dem Schicksal Fra Stefanos, fuhr fort mit dem grauenhaften Ende von Andrea und kam schließlich zu den dramatischen Ereignissen von Poggio Bustone. Das römische Intermezzo verschwieg er aus naheliegenden Gründen, doch er erwähnte mehrere Male ausdrücklich den Namen Stellas, das hatte er sich eigens vorgenommen.
    Chiaras Gesicht blieb unbewegt, während er sprach. Verstand sie eigentlich, was sie da zu hören bekam? Oder war sie schon so weit vom Diesseits entfernt, dass all diese Vorkommnisse sie nur noch wie flüchtige Nebelschwaden streiften?
    Als er erzählte, wie Fra Lorenzo gestorben war, löste sich eine Träne aus Chiaras Auge und netzte die eingefallene Wange. Inzwischen war die Graue unter dem Bett hervorgekrochen, leichtfüßig hochgesprungen, um sich auf Chiaras mageren Schenkeln einzukringeln.
    Es war kaum mehr als ein Wispern, das vom Krankenlager kam. Regula musste sich tief nach unten beugen, um alles zu verstehen.
    »Das hätte Francesco niemals gewollt. Dass jemand in seinem Namen Hand an andere Brüder legt.«

    »Niemals!«, bekräftigte Leo. »Aber hätte er sich auch jemals über eine Kathedrale gefreut, angeblich erbaut, um seinen Namen für immer in den Himmel zu schreiben? «
    »Mai, mai«, flüsterte Madre Chiara. »Ha amato la donna povertà – come me!«
    »Niemals«, übersetzte Suor Regula. »Er hat die Herrin Armut ebenso geliebt wie ich.«
    Leo zögerte kurz, dann kam er zu seinem eigentlichen Anliegen: »Die Brüder in den Einsiedeleien sind gestorben, weil sie einen Eid geschworen hatten, den sie unter keinen Umständen verletzen wollten«, sagte er. »Das solltest du noch wissen.«
    Der abgemagerte Körper unter der dünnen Decke versteifte sich plötzlich. Nur die Lippen bewegten sich unmerklich.
    »Ein Eid, den man abgelegt hat, ist ein großes Versprechen«, übersetzte Regula. »Beinahe ein Gelübde …«
    »Ein Gelübde, das viele Tote gekostet hat«, fiel Leo ihr ins Wort. »Zu viele!«
    Die dunklen Augen Chiaras schienen ihn regelrecht zu verschlingen. Da entschloss Leo sich zum Angriff.
    »Es ist so stickig hier drinnen«, sagte er zur Infirmarin. »Ich bräuchte einen Schluck Wasser – frisches Wasser!«
    »Ich kann dir welches holen«, erwiderte sie und ging widerwillig zur Tür.
    Leo wartete, bis sie draußen war, dann fasste er in seine Kutte und zog das aufgeklebte Pergament heraus.
    »Ein Brief«, sagte er. » Una lettera, che tu conosci benissimo . Ein Brief, den du sehr gut kennst. War er all diese Morde wirklich wert?«
    Chiara schien jedes seiner Worte zu verstehen. Ihre Rechte, einer Vogelklaue ähnlicher als einer menschlichen
Hand, kam unter der Bettdecke hervor und berührte das Pergament zärtlich.
    »È una filgia, amor mio« , begann sie zu flüstern, »la creatura che porterà dentro di sé, per sempre, il nostro segreto …«
    »Es ist eine Tochter, Geliebter, die für immer unser Geheimnis in sich tragen wird«, flüsterte nun auch Leo. »Ich habe dir diese Zeilen mitgebracht«, fuhr er fort, »mein Geschenk, das niemals wieder ein Menschenleben fordern darf. Il mio regalo – per te. «
    Die dunklen

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