Braut von Assisi
öffentlich zusammen gesehen werden.« Seine Stimme war kalt wie Eis. »Dreh dich vor allem nicht mehr nach uns um. Sonst würdest du es bereuen!«
Schiefnase erhob sich schwerfällig. Eigentlich hätte er ja noch mehr Geld verlangen wollen. Die paar Silbermünzen, die er bislang für seine aufwendigen Dienste erhalten hatte, waren geradezu lächerlich, und selbst das, was noch ausstand, sollte der andere seine Zusagen tatsächlich einhalten, was er plötzlich bezweifelte, erschien ihm als viel zu gering.
Doch seltsamerweise brachte er die Worte, die er offensichtlich zu lange zurückgehalten hatte, nicht über die Lippen. Seine Zunge lag wie ein Fremdkörper im Mund, fühlte sich dick und viel zu groß an, als hätte ein tückischer Insektenstich sie gefährlich anschwellen lassen, und seine Kehle war so eng geworden, dass er fürchten musste, im nächsten Moment zu ersticken.
Plötzlich erkannte er, was es war, das ihn lähmte – Angst. Todesangst.
Mit zitternden Beinen entfernte er sich vom Tisch in Richtung Ausgang. Doch aufrecht schreiten konnte er beim besten Willen nicht mehr. Er ging gebeugt, nach einer Seite geneigt, humpelnd, nicht anders als der Aussätzige, den er vielleicht bald wieder spielen musste.
Er war an der Schwelle angelangt, als hinter ihm ein schallendes, kurzes Lachen ertönte, das ihn an das Keuchen eines Esels erinnerte. Wie gern hätte er gewusst, wer ihn da so frech verhöhnte!
Doch die Angst erwies sich als stärker. Er drückte seine Schulter gegen das alte Holz, stieß die Tür auf und taumelte hinaus in die Nacht.
Zu seiner Überraschung war sie nicht allein gekommen. Ilaria stand dicht neben ihr, als wollte sie sie beschützen. In einem weißen, knöchellangen Nachtgewand, über das sie ein bunt besticktes Tuch geschlungen hatte, die Haare ein lockiges Gewirr, das im Schein der aufgehenden Sonne wie rötliches Gold schimmerte.
»Lei deve sorvegliare mia sorella, padre« , sagte sie ernst. »Qualche volta può essere un po’ pazza!«
Stella versetzte ihr einen verlegenen Klaps.
»Was hat sie gesagt?«, wollte Leo wissen.
»Nichts. Nur lauter Unsinn.«
Fragend zog er die Brauen hoch.
»Ach nur, dass Ihr unbedingt auf mich aufpassen sollt.« Plötzlich wirkte sie noch verlegener. »Weil ich angeblich manchmal ein bisschen verrückt sein soll. Aber das stimmt natürlich nicht. Ganz im Gegenteil, ich bin äußerst vernünftig. Und jetzt sollten wir endlich los!«
Ilaria, die alles verstanden zu haben schien, hielt sie fest und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Dann drehte sie sich um und ging ins Haus zurück.
»Wissen Eure Eltern eigentlich davon?«, fragte Leo, nachdem sie die ersten Schritte gemacht hatten. Die Luft war klar und noch angenehm kühl, der Himmel leuchtete in zartem, fast durchsichtigem Blau und wirkte nach einem
kurzen nächtlichen Gewitter wie frisch gewaschen. Fröhliches Tschilpen begleitete sie, als sie die steinernen Häuser nach und nach hinter sich ließen. Dann stiegen sie langsam höher. Die ersten Bäume empfingen sie, riesige, alte Steineichen, wie er erstaunt feststellte. »Ihr habt sie doch sicherlich von unserem kleinen Ausflug unterrichtet, oder etwa nicht?«
»Hmm«, machte Stella und beschleunigte ihre Schritte, sodass er sich anstrengen musste, um nicht zurückzubleiben. Der lange Rock schien sie beim Laufen nicht zu behindern, so behände schritt sie aus. Erst nach einer Weile fiel ihm auf, wie geschickt und doch einfach sie sich beholfen hatte – mit einem Strick an ihrer linken Seite, der den grünen Stoff genügend weit nach oben raffte, damit sie ausreichend Bewegungsfreiheit hatte.
»Ihr hängt sehr an Eurer Schwester, nicht wahr?«, nahm Leo den zerrissenen Gesprächsfaden erneut auf. »Bei aller Gegensätzlichkeit, die man Euch beiden schon äußerlich ansieht.«
»Allerdings«, sagte Stella bewegt. »Ilaria ist meine Sonne, die alles heller und wärmer macht, seit ich denken kann. Ich mag mir noch gar nicht recht vorstellen, dass ich sie schon bald nicht mehr …« Sie biss sich auf die Lippen und verstummte.
»Hochzeit ist ein wichtiger Schritt in jedem Leben«, sagte Leo behutsam. »Ähnlich wie der Eintritt in ein Kloster. Das eine Mal schwört man dem menschlichen Bräutigam ewige Liebe und Treue, das andere Mal dem göttlichen. «
»Was aber, wenn man sich trotz allem plötzlich nicht mehr ganz sicher ist – was dann?« Stella war mitten auf dem schmalen Pfad stehen geblieben. Mit ihren großen hellen Augen
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