Braut von Assisi
schier den Atem raubte.
Vor ihm eine Unzahl verschiedenartigster Grüntöne – vom hellsten Grüngelb über silbriges Oliv bis zu tiefem, sattem Blaugrün. Der Himmel schien mit den Bäumen, Büschen und Moosarten geradezu wetteifern zu wollen, war nicht länger lichtblau, sondern prangte in strahlendem Azur. Wohin Leo auch schaute, überall schaukelten bunte Schmetterlinge, die sich hier besonders wohlzufühlen schienen. Einer war ausnehmend kühn und ließ sich auf seinem rechten Arm nieder. Aus der Nähe war er noch beeindruckender: Die Flügel leuchteten in sattem Rostrot und hatten am vorderen und hinteren Ende schwarz, blau und gelb gefärbte Augenflecken. Es war, als erblicke man den Abdruck von Pfauenfedern auf diesen zarten Schuppen.
»Schau nur einmal her, Stella!«, rief Leo impulsiv und merkte die vertrauliche Anrede erst, nachdem er den Satz beendet hatte. »Ist er nicht wunderschön?«
Von ihr kam ein seltsamer Laut. Sie hielt eine Hand an den Hals gepresst und schaute zu ihm mit einem Ausdruck schieren Entsetzens. Mit der anderen begann sie wie wild zu wedeln.
»Eine Wespe!«, schrie sie. »Sie hat mich zweimal gestochen. Es tut so weh!«
Sofort war Leo bei ihr, zögerte einen Moment, schob dann aber energisch den Stoff des Kleides zur Seite, drückte seine Lippen auf ihren Hals und begann, den dickeren Stich kräftig auszusaugen.
Zwischendrin hielt er inne und spuckte aus.
»Das Gift auch noch schlucken möchte ich dann doch lieber nicht«, sagte er mit schiefem Lächeln, bevor er sich an den zweiten Stich machte, mit dem er nicht anders verfuhr.
Schließlich trat er einen Schritt zurück. »Das müsste eigentlich reichen«, sagte er. »Hoffe ich zumindest.«
»Danke.« Stella war noch immer sehr bleich. Auf ihrer hohen Stirn standen winzige Schweißperlen. Wo seine Lippen eben noch ihre Haut berührt hatten, bildeten sich zwei dunkelrote Beulen.
»Ich fürchte, das wird später noch blau anlaufen«, sagte Leo. »Und eine ganze Weile zu sehen sein. Geht es denn wieder besser?«
»Ein wenig. Ich weiß noch nicht so genau. Stiche werden bei mir immer …« Sie schien plötzlich zu schwanken, verdrehte die Augen und landete in seinen Armen.
Ihre Haare kitzelten seine Haut. Wie weich sie sich anfühlte! Und wie gut sie trotz all der Anstrengung roch! Jahrelang war er keiner Frau mehr so nah gewesen, doch sein
Körper hatte nichts von dem vergessen, was einmal gewesen war, das spürte er überdeutlich. Ihm wurde plötzlich innerlich heiß, als koche Wasser in ihm über, und er hielt verzweifelt nach einer Kühlung Ausschau. Aber es blieb ihm trotz allem nichts anderes übrig, als Stella fürsorglich zu halten, bis ihre Lider flatterten und sie wieder zu sich kam.
»Mir ist so merkwürdig zumute«, flüsterte Stella. »… zum Sterben übel. Und ich kann auf einmal nicht mehr richtig sehen. Was ist mit mir?«
»Das Insektengift!«, sagte Leo grimmig. »Ich hab wohl leider doch nicht alles erwischt. Warte!«
Erneut nahm er sie hoch, obwohl sich der Schmerz in seinem Hinterkopf dabei wieder zögernd meldete, und trug sie bis zur ersten Hütte.
»Aiuto!« , schrie er aus Leibeskräften. »Hilfe – wir brauchen dringend Hilfe! Ist denn da niemand?«
Eine Weile blieb alles still. Stellas Kopf ruhte kraftlos an seiner Brust, in ihren Augen konnte er das Weiße sehen, und ihr Atem erschien ihm so schwach wie der eines kranken Kätzchens.
Dann kroch endlich ein kleiner Mann aus der letzten Hütte und kam langsam näher.
Er war alt, sehr alt, das erkannte Leo, als der Mann nur noch ein paar Schritte entfernt war. Er trug eine Kutte, die nur noch aus Flicken und Fetzen zu bestehen schien. Sein länglicher Schädel war kahl bis auf einen schmalen grauen Haarkranz. Keine Schuhe – augenblicklich musste Leo an Franziskus denken. Aber konnte dieser seltsame Waldkauz wirklich etwas mit dem zutiefst verehrten Heiligen zu tun haben?
Ihm blieb keine Zeit, sich damit zu beschäftigen, denn inzwischen ging Stellas Atem rasselnd.
»Aiuto!« , wiederholte Leo verzweifelt und kramte in seinem Gedächtnis verzweifelt nach dem italienischen Wort für »Wespe« oder wenigstens »Insekt« – leider vergebens. »Apis« , stieß er schließlich hervor, streckte den Zeigefinger aus und deutete einen Stich an. Apis, das war Lateinisch und bedeutete »Biene«, das Nächstliegende, was ihm in den Sinn gekommen war. Dann zeigte er auf Stellas Hals.
Zu seiner Verblüffung schien der Fremde sofort zu verstehen. Er
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