Braut von Assisi
drehte sich um, lief erstaunlich behände zu seiner Hütte und kam mit einem kleinen Tonkrug zurück.
»Aceto« , sagte er zahnlückig und riss einen Fetzen von seiner Kutte, den er damit beträufelte und auf die Stiche drückte. »Buono!« Er schnalzte mit der Zunge.
Der säuerliche Geruch verriet Leo, dass es sich um Essig handelte, und plötzlich erinnerte er sich: Johanna, seine jüngere Schwester, war nach einem Bienenstich von der Mutter ebenfalls mit Essig behandelt worden – und es hatte geholfen. Und noch etwas anderes hatte sie damals kenntnisreich auf die entzündete Stelle gelegt – rohe Zwiebeln.
»Cipolle« , entfuhr es ihm.
Der Alte lachte, lief abermals weg und kam mit dem Gewünschten zurück. Seine schmutzigen Finger rissen ungeduldig die dünne rötliche Haut herunter. Dann zog er ein kleines Messer aus dem Strick, der seine Kutte gürtete, und schnitt die Zwiebel auf.
Der Strick war zerfasert und zerschlissen – aber mit drei exakten Knoten versehen. Das konnte nur bedeuten, dass er einen Minoritenmönch vor sich hatte – einen Mitbruder.
Inzwischen lagen auch die Zwiebelringe auf Stellas stark geröteter Haut. Sie zwinkerte mehrmals, dann öffneten sich ihre Lider.
»Wo bin ich?«, flüsterte sie. »Was ist passiert? Alles war plötzlich ganz schwarz …«
»Nel paradiso« , sagte Leo lächelnd, während der Mönch bekräftigend dazu nickte. »Und einen hilfreichen Engel haben wir hier praktischerweise auch gleich gefunden. Fra …«
Er sah den anderen fragend an.
»Giorgio«, sprudelte der hervor. »Fra Giorgio. Buon dì, buona gente! «
Spätestens jetzt waren auch die letzten Zweifel ausgeräumt. »Guten Tag, gute Leute«, das war exakt die Begrüßungsformel des Heiligen gewesen, wenn er sich auf einer seiner zahlreichen Reisen befand.
Das Kribbeln in Leos Nacken verstärkte sich, obwohl er sich noch immer nicht recht vorstellen konnte, inwieweit das alles hier mit dem rätselhaften Tod der Nonne in San Damiano zu tun haben sollte.
Stella saß inzwischen wieder halbwegs aufrecht und presste eigenhändig Essiglappen und Zwiebelringe gegen die Stiche. Leo entging nicht, dass sie dabei sofort ein ganzes Stück von ihm abgerückt war, als sei die Berührung ihr überaus peinlich gewesen.
Die Augen des Mönchs ruhten nachdenklich auf ihrem noch immer sehr blassen Gesicht, und plötzlich lächelte er erneut, während ein wahrer Sturzbach italienischer Worte aus seinem Mund sprudelte.
»Er sagt, wir müssten unbedingt etwas essen«, übersetzte Stella. »Aber er ist an einfachste Kost gewöhnt und hat nur Käse, Brot und Wein zur Hand. Leider ist schon lange keine Lieferung mehr aus der Stadt gekommen, sonst könnte er uns etwas anderes anbieten.«
»Das ist doch mehr als genug und wird Euch neue Kraft schenken«, sagte Leo. »Fra Giorgio wird von Assisi aus versorgt? Von wem denn?«
Sie übersetzte seine Frage.
Giorgio zog die Schultern hoch und lachte, während er antwortete.
»Das weiß er offenbar selber nicht so ganz genau«, sagte Stella. »Mal sind die Leute großzügig, dann wieder eher knickrig. Und manchmal vergessen sie ihn auch ganz. Dann geht er eben einfach in den Wald und lebt ein paar Wochen von Beeren, Kräutern und Pilzen, genauso wie der Heilige es getan hat.« Ihr Blick war klar, als sie ihn ansah. »Stehen wir auf?«, sagte sie. »Ich bin nämlich halb am Verhungern. «
Leo hielt sich hinter ihr, falls sie erneut Schwäche überfallen sollte, doch Stella ging kerzengerade, ganz offensichtlich bemüht, ihm keine weitere Mühe zu bereiten. Giorgio kroch in die Hütte und kam wenig später mit einer kleinen Decke, Brot, einem Schälchen Käse und zwei Krügen wieder zurück.
»Mangiate!« , sagte er und deutete auf das frugale und doch köstliche Mahl. »Prego!«
Leo und Stella ließen sich nicht zweimal auffordern. Vor allem die junge Frau schlang alles so schnell hinunter, dass sie sich zweimal verschluckte, was Giorgio zu neuerlichen Heiterkeitsanfällen anstiftete.
»Fragt ihn bitte, wie lange er schon hier oben ist«, bat Leo, nachdem alles aufgegessen war.
Die Antwort kam prompt.
»So lange, dass er sich kaum an das erinnern kann, was vorher war«, übersetzte Stella. »Er hat Francesco noch gekannt. Die neue Sonne Assisis.«
Dann muss er schon seit nahezu dreißig Jahren hier leben.
»Kennt er Madre Chiara auch?«, fragte Leo.
Ein Nicken. Die Miene des Mönchs war plötzlich eine Spur wachsamer geworden.
»Wann hat er sie zum letzten Mal
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