Braut von Assisi
Er gähnte herzhaft. »Ich denke, es wird allmählich Zeit für die Nachtruhe. Besonders für unsere beiden jungen Bräute, die ihren Schlaf vor Beginn der Festlichkeiten dringend brauchen.«
»Ihr werdet heiraten? Alle beide?« Leos Blick flog von Ilaria zu Stella, die rasch den Kopf senkte, während die andere mit strahlender Miene zu nicken begann.
»Zwei Vettern aus bestem Haus.« Simonettas Stimme hätte stolzer kaum klingen können. »Junge Adelige mit ausgesuchten Manieren. In nicht einmal zwei Wochen wird unser geliebtes Assisi die Hochzeit des Jahres erleben. « Sie erhob sich. »Kommt, meine Mädchen, rasch ins Bett mit euch! Das bin ich euren Verlobten schuldig.«
Auch Leo begab sich in sein Zimmer, doch er war plötzlich viel zu aufgewühlt, um schlafen zu können. Unruhig schritt er auf und ab, was ihm schon manchmal geholfen hatte, die innere Ruhe wiederzufinden, doch heute misslang es. Diese Carceri schienen also etwas mit Franziskus zu tun zu haben, auch wenn der Heilige schon seit fast dreißig Jahren tot war. Wieso hatte die körperlose Stimme den Ort dann in Zusammenhang mit der toten Nonne gebracht? Und was hatte der Aussätzige damit zu tun, in dessen Schale die beiden Worte CARCERI und SEGRETO gekratzt waren?
Es gab nur eine Lösung, der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Er musste selbst dort hinaufsteigen – so bald wie möglich.
Abermals begann sein Hinterkopf heftig zu pochen. Er stützte den Kopf in beide Hände und starrte in die Kerzenflamme, als es plötzlich zaghaft an seiner Tür klopfte.
»Padre?« Zu seiner Verblüffung sah er Stella vor sich stehen, nachdem er geöffnet hatte. »Ihr wollt hinauf zur Einsiedelei? Ich werde Euch begleiten.«
»Aber das müsst Ihr nicht«, sagte er. »Ihr werdet andere Dinge zu tun haben, so kurz vor Eurer Hochzeit …«
Er verstummte, als ihr Blick zwingend wurde.
»Lasst mich mit Euch gehen!«, beschwor sie ihn. »Wie sonst könntet Ihr Euch dort verständigen?«
»Ich denke, dort lebt niemand mehr? Hat Euer Vater nicht gesagt, dass …«
»Er weiß nicht alles«, fiel sie ihm ins Wort. Und sagt nicht immer alles, was er weiß, fügte sie für sich hinzu. »Ihr werdet mich brauchen, glaubt mir!«
»Habt Ihr denn keine Angst?«, fragte Leo leise.
»Was sollte mir schon zustoßen in Gesellschaft eines frommen Mannes, wie Ihr es seid?«, sagte sie. »Wann gehen wir?«
»Morgen früh. Gleich nach Sonnenaufgang, dann vermeiden wir die größte Hitze. Und Ihr seid Euch wirklich sicher?«, fragte Leo. »Ganz sicher, Stella?«
Sie nickte.
»Ich erwarte Euch dann am Stall«, sagte sie. »Buonanotte, padre!«
»Du hast noch immer Dreck im Gesicht.« Die metallische Stimme klang streng.
Der Mann mit der schiefen Nase lachte und wischte sich mit der Hand rasch über die Wange. »Gar nicht so einfach, das ganze Lehmzeug wieder wegzubekommen«, sagte er. »Zusammen mit der schmierigen Paste klebt es wie verrückt. Aber das ist nicht das Schlimmste an der Maskerade. Hast du auch nur eine Vorstellung davon, wie mühsam es ist, den Rücken ständig krumm zu machen und mit einem Bein zu hinken? Nach dieser verfluchten Schinderei spüre ich noch tagelang jeden einzelnen Knochen in meinem Leib!«
In der niedrigen Taverne, die sich nach und nach füllte, hatte inzwischen auch die Lautstärke zugenommen. Die Männer saßen an einem Tisch in der Ecke, zwei nebeneinander auf der Bank, einer gegenüber. Der Lärmteppich
war dicht genug gewirkt. Keiner der anderen Zecher würde hören können, was sie zueinander sagten.
»Hat er den Köder geschluckt?«
Abermals beschwichtigendes Lachen.
»Du wirst in ganz Assisi und Umgebung keinen besseren Aussätzigen finden«, sagte der eine. »Nicht einmal in Perugia, darauf kannst du wetten. Allerdings war das mit der Kirche eine ziemliche Schweinerei. Weißt du eigentlich, wie verdreckt alles war? Jahrzehntelang hat dort niemand mehr sauber gemacht. Allein diese Vogelscheiße überall – einfach nur widerlich! Ich begreife noch immer nicht, wozu diese sinnlose Fegerei eigentlich gut sein sollte, die du von mir verlangt hast. Kannst du mir vielleicht …«
»Und er hat dir geglaubt? Allein darauf kommt es an«, unterbrach sein Gegenüber ihn schroff.
Die Wirtin kam mit einem neuen Krug Wein an den Tisch und beugte sich beim Ausschenken weit vornüber, um ihre Brüste im halb geöffneten Mieder noch besser zur Geltung zu bringen. Doch keiner der drei gönnte ihr auch nur einen Blick. Beleidigt zog sie wieder
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