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Braut von Assisi

Braut von Assisi

Titel: Braut von Assisi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Mut noch die Kraft besessen …

    »Fra Leo, dove sei?« Orsinos tiefe Stimme riss ihn aus seinen Grübeleien.
    Wo war er eben gewesen?
    Gewiss nicht hier auf dem kleinen Friedhof, um dem alten Eremiten das letzte Geleit zu geben, das er verdiente.
    »Qui« , flüsterte er. » Sono qui . Hier bin ich.«
    Als die Erde schließlich auf den schlichten Holzsarg polterte, fühlte Leo sich auf merkwürdige Weise getröstet. Auch sie war schließlich ein Teil jener Natur, die Giorgio in der Nachfolge Francescos so sehr geliebt hatte. Zu ihr war er zurückgekehrt. Sie würde ihn in ihrem dunklen Schoß wiegen.
    Doch weiterhin saß Leo die Frage wie ein glühendes Mal im Fleisch: Wer konnte der Mörder sein?
    »Ich habe für die nächsten Tage strenge Exerzitien angeordnet«, sagte Abt Matteo, nachdem die Bestattung vorüber war. »An denen alle von uns teilnehmen werden. Willst du dich nicht anschließen, Bruder Leo? Ich habe den Eindruck, auch deine Seele dürstet nach spiritueller Reinigung.«
    Leo warf ihm einen kurzen Blick zu. Was konnte Matteo über den heimlichen Aufruhr wissen, der in ihm tobte? Gab es etwas, womit er sich verraten hatte?
    »Nichts lieber als das«, erwiderte er ebenso diplomatisch wie ausweichend. »Doch dringliche Aufgaben lassen das leider im Augenblick nicht zu. Bruder Johannes erwartet Ergebnisse von mir – ebenso baldige wie gründliche Ergebnisse. «
    »Du sprichst von San Damiano? Ich habe erfahren, es soll ihr schlechter gehen.«
    Natürlich wusste Leo, um wen es ging, obwohl Matteo es tunlichst vermieden hatte, den Namen der Äbtissin in den Mund zu nehmen.

    »Madre Chiaras Zustand ist nach wie vor ernst, wenn du das meinst, meines Wissens aber nicht lebensbedrohlich«, erwiderte er. »Oder hast du andere Nachrichten?«
    Wenn stimmte, was der Abt behauptete, stand es womöglich schlecht um Leos Pläne. Aber er musste doch aufbrechen, um das Bild zu vervollständigen, das sich langsam in ihm festigte – oder sollte Fra Giorgio ganz umsonst gestorben sein? Die Landkarte war sein Stern, der ihn leiten würde. Ihm wollte er mutig und entschlossen folgen.
    »Wie steht es um Fra Eligio?«, fuhr Leo fort, da sein Gegenüber bisher kein Wort über den Schwerstkranken verloren hatte. »Geht es ihm besser? Oder müssen wir schon bald mit einer neuen Beerdigung rechnen?«
    Der Abt zog die knochigen Schultern hoch. »Wir alle sind in Gottes Hand, ein jeder von uns. Er allein entscheidet, wann unsere Zeit gekommen ist.«

    Ein Satz, an dem es eigentlich nichts auszusetzen gab, und dennoch ging er Leo unentwegt im Kopf herum, während er im Sattel saß und auf Fidelis nach San Damiano ritt. Er genoss es, den sonnenwarmen Tierkörper unter sich zu spüren und die Leichtigkeit und Eleganz zu beobachten, mit denen die Stute auch dem kleinsten seiner Befehle folgte. Das lange gemeinsame Unterwegssein hatte Mensch und Tier tief verbunden, und doch würde er schon bald für gewisse Zeit Abschied von seiner treuen Gefährtin nehmen müssen. Der Weg, der vor ihm lag, war einsam und ungewiss. Leo hatte sich vorgenommen, ihn ganz im Sinne Francescos zu gehen – barfüßig im Herzen.
    Überall zirpte und summte es, helle Ähren wiegten sich leicht im Wind, und über ihm stieg ein Bussardpärchen in
den wolkenlosen Himmel auf. Was hätte er jetzt nicht dafür gegeben, sich ins hohe Gras sinken zu lassen und die lebendige Schönheit ringsumher mit allen Sinnen zu genießen! Stattdessen wartete eine äußerst unangenehme Aufgabe auf ihn, die er trotz aller möglicher Bedenken und Einwände zielstrebig anzugehen gedachte.
    Seine Befürchtungen bewahrheiteten sich rascher als erwartet. Suor Regulas Miene wurde säuerlich, einem Topf voller Sahne gleich, der zu lange in der Sonne gestanden hatte, kaum dass Leo die ersten Worte ausgesprochen hatte.
    »Dazu wird Madre Chiara niemals ihre Erlaubnis erteilen«, entgegnete Regula giftig. »Das kann ich dir jetzt schon sagen. Kein Mann darf in die Schlafräume der Bräute Christi eindringen, auch dann nicht, wenn er ein Mönch und Visitator …«
    »Es geht womöglich um Mord«, fiel Leo ihr ins Wort. »Auf jeden Fall aber um einen seltsamen Todesfall, der geradezu nach Aufklärung schreit. Ich will endlich wissen, wo jenes Buch abgeblieben ist, von dem Suor Amata gesprochen hat. Und bis ich es nicht in meinen Händen halte, werde ich euer ganzes Kloster auf den Kopf stellen!«
    Zu seiner Überraschung gab die Äbtissin die Erlaubnis, nachdem Regula ihr sein Ansinnen

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