Braut von Assisi
seine Glieder gebrochen und anschließend mutwillig in verschiedene Richtungen gebogen.
Welche unerträglichen Schmerzen mochte er ausgestanden haben?
»Aber seht doch nur , padre !« Stellas Stimme war nur noch ein Wispern. »Da! Seine Hand …«
Ein Pfeil, der die ledrige Haut durchdrungen und die Handwurzel zusammen mit einem Stück Pergament auf den Waldboden genagelt hatte. Dieses war ebenso rissig und zerschlissen wie das Teilstück, das Leo in der Leprosenschale entdeckt hatte, doch um einiges größer.
Der Rest einer Landkarte, deren Ränder sich nahtlos an seinen alten Fund von Portiuncula fügen würden, dessen war er sich sofort sicher.
Leo schloss dem Toten die Lider und sprach ein stummes Gebet. Dann zog er behutsam den Pfeil heraus.
Zweites Buch
VERDAMMNIS
Fünf
D ie Landkarte bedeutete für Leo Segen und Fluch zugleich, denn sie regte seine Phantasie an, ließ seine Gedanken aber nicht mehr los, was immer er auch gerade tat. Nachdem er sie sorgsam zusammengeleimt hatte, um die beiden zerrissenen Teile zu vereinen, breitete er sie unzählige Male auf seinem Tisch aus und brütete mit gerunzelter Stirn über den Linien und Symbolen, so lange, bis das schwarze Gewirr der verwischten Tintenlinien sich wie ein unsichtbares Netz tief in sein Gedächtnis eingebrannt hatte. Nachts, sobald die Stadt ruhig geworden war, wurde es noch schlimmer. Dann erschien der Sieche ihm im Traum, nun ernsthaft vom Aussatz gezeichnet, der sein Gesicht zur Fratze entstellt und die Finger verformt hatte. Anklagend deutete er mit seinen abstoßenden Stummeln abwechselnd auf sich, dann wieder auf das Pergament, bis Leo schweißbedeckt erwachte und Mühe hatte, sein wild schlagendes Herz wieder zu beruhigen.
Auch während der Beerdigung des Eremiten musste Leo ständig an diesen seltsamen Fund denken, von dem er niemand etwas sagte. Stella wusste als Einzige darüber Bescheid, und sie würde schweigen, das hatte sie ihm versprochen. Giorgio hätte es vermutlich sehr viel besser gefallen, in der Bergeinsamkeit des Monte Subasio seine letzte Ruhe zu finden, doch Abt Matteo hatte dieses Ansinnen energisch verweigert.
»Wieder und wieder hab ich ihn beschworen, sein Leben in der Wildnis aufzugeben, aber er hat mich jedes Mal nur ausgelacht. Der Preis, den er nun dafür bezahlen musste, ist hoch – ein einsamer Tod ohne die Tröstungen der heiligen Kirche.«
Die Sonne stand inzwischen beinahe im Zenit, und die raue Kutte klebte Leo am Körper. Doch das war nicht der einzige Grund, weshalb er derart zu schwitzen begonnen hatte. Ärger war in ihm hochgestiegen, heiß und gleißend rot, wie immer, wenn jemand in seiner Nähe der Wahrheit bewusst auswich.
»Fra Giorgio ist nicht einfach gestorben, sondern man hat ihn auf niederträchtige Weise ermordet. Folglich hat er einen Feind gehabt, einen grausamen, heimtückischen Gegner, der vor nichts zurückschreckt.« Es musste aus ihm heraus, doch Matteo schien ihm gar nicht zuzuhören, sondern war mit seinen Gedanken offenbar bereits anderswo. »Außerdem waren die Carceri einer der Lieblingsplätze Francescos …«
»Der ein Heiliger war, damit jenseits aller Regeln und zudem schon seit Jahren nicht mehr am Leben. Die Zeiten haben sich geändert, Bruder, das solltest du wissen! Jetzt gehören alle Franziskaner Assisis zum Sacro Convento, auch nachdem ihre Seele zum Allmächtigen gegangen ist. Hier, auf unseren neuen Friedhof, sollen Fra Giorgios sterbliche Überreste gebettet werden. Hier, wo die anderen Brüder ständig seiner gedenken können.«
Täuschte Leo sich, oder schwang da nicht eine winzige Spur Genugtuung mit?
Er entschloss sich zur Provokation, um tiefer zu dringen: »Habt ihr euren geliebten Bruder Giorgio auch regelmäßig mit Essen versorgt, damit er eure lebendige Liebe spüren konnte?« Hinter seiner ruhigen Stimme schimmerte blankes Erz.
Die hellen Augen des Abtes sprühten Blitze. »Natürlich nicht! Sacro Convento lebt von Almosen und der harten Arbeit der Brüder. Wer ausschert und einen Sonderstatus für sich beansprucht, muss sehen, wie er zurechtkommt.«
Leo hatte sich die Antwort verkniffen, dass Giorgio sicherlich Gründe gehabt hatte, ein Eremitenleben der klösterlichen Gemeinschaft vorzuziehen. In der Tat konnte er sich den kauzigen Alten nur schwerlich inmitten der frommen Brüderschar vorstellen. Erst als Leichnam war er schließlich zum Sacro Convento zurückgekehrt – doch in welch bedauernswertem Zustand!
Zusammen mit Fra Orsino hatte
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