Braut von Assisi
so leid zurückzuschauen. Nach vorne muss ich blicken. Dorthin, wo für mich die Zukunft liegt.«
»Aber was genau hast du vor?« Ilarias sonst so leuchtende Augen waren dunkel vor Sorge geworden. »Wenn du dich gegen die Pläne der Eltern sträubst, wirst du …«
»Kein Kloster und erst recht keinen neuen Verlobten – auf jeden Fall nicht in absehbarer Zeit. Ich muss erst wieder zu mir selbst finden. Das ist das Einzige, was jetzt zählt.«
»Dann willst du weiterhin hier eingeschlossen bleiben?«
»Natürlich nicht! Padre Leo braucht mich. Ihm werde ich zur Seite stehen.« Es kam so gelassen und selbstverständlich, als hätte Stella es sich schon lange überlegt.
»Du bist verrückt, sorellina !« Ilaria packte ihre Handgelenke. »Er ist ein Mönch aus einem fremden Land, der nach Geistern jagt. So etwas kann doch kein gutes Ende nehmen!«
»Nach Mördern«, verbesserte Stella sie und befreite sich aus Ilarias eisernem Griff. »Und wieso befürchtest du das? Padre Leo hat großen Mut bewiesen. Ohne ihn wäre ich jetzt ganz und gar in Carlos Hand.« Sie wandte sich ab.
»Dann glaubst du vielleicht, du bist ihm etwas schuldig? Aber da irrst du dich. Leo ist schließlich ein Mann Gottes, der Gutes tun muss. Er konnte gar nicht anders, als dir beistehen. «
»Ein Mann Gottes«, flüsterte Stella. »Genau das ist es! Padre Leo ist ein Mann Gottes – und ich werde sein Ohr sein und seine Zunge.«
»Hast du jetzt vollkommen den Verstand verloren?«, rief Ilaria. »Das klingt ja beinahe, als hätte er dich verhext. Hüte dich, solche Dinge vor anderen zu sagen, ich beschwöre dich, Stella, sonst stecken sie dich eines Tages noch in den Narrenturm!«
»Ich war niemals klarer als heute.« Zarte Röte hatte sich auf Stellas Wangen ausgebreitet, ihre Augen funkelten. »Und jetzt benützt ausnahmsweise mal du deinen Verstand: Wie komme ich hier am schnellsten raus?«
»So viel liegt dir an diesem Mann?«, fragte Ilaria eindringlich. »Das kann ich keineswegs gutheißen. Offenen Auges willst du in dein Unglück rennen, aber ich …«
Energische Schritte, die sich rasch näherten. Unwillkürlich klammerten die beiden jungen Frauen sich aneinander.
Erst hörten sie den Schlüssel im Schloss. Dann stand schon Simonetta auf der Schwelle.
»Komm, Ilaria, beeil dich!«, rief sie gebieterisch. »Wir haben noch so unendlich viel zu erledigen.«
»Ich will aber hierbleiben. Lass mich bei ihr schlafen, Mamma! Nur diese eine Nacht.«
»Ausgeschlossen! Du kommst jetzt mit mir – und zwar sofort.«
Ilaria sank auf die Knie. »Ich flehe dich an, Mammina. Bitte! Um der alten Zeiten willen.« Ihre Augen waren feucht geworden. Sie sah aus wie ein trauriger Engel.
Stella hielt die Luft an und versuchte verzweifelt, in der Miene ihrer Ziehmutter zu lesen, doch es misslang wie schon so oft zuvor. Ihre Kehle war wie zugeschnürt.
Würde sie sich von ihrem Liebling doch noch erweichen lassen?
»Meinetwegen!«, knurrte Simonetta schließlich. »Wenn du unbedingt freiwillig auf dein Abendessen verzichten willst. Doch nur dieses eine Mal. Eine Wiederholung wird es nicht geben. Niemals!«
Sie schlug die Tür zu und sperrte von außen ab.
»Wir haben es geschafft!« Vor Aufregung begann Stella am ganzen Körper zu zittern.
»Gar nichts haben wir, sorellina ! Aber jetzt bleibt mir zumindest eine ganze Nacht, um dir die Flausen aus deinem eigensinnigen Kopf zu treiben!«
Das Kontor von Giacomo Morra lag in der Oberstadt, im Erdgeschoss des zweistöckigen, frisch renovierten Hauses, das er mit seiner ständig wachsenden Familie erst jüngst bezogen hatte. Der soziale Aufstieg war beachtlich zügig erfolgt. Noch sein Großvater väterlicherseits war ein bettelarmer Zimmermann in der Unterstadt gewesen, der sein Dasein und das seiner vielköpfigen Familie mit einfachen Holzarbeiten hatte fristen müssen. Giacomos Vater hatte sich um einiges pfiffiger erwiesen und es geschafft, die Gunst der Stunde zu nützen. Mit unzähligen Holzgerüsten für die Bauarbeiten von San Francesco sowie des Sacro Convento war er zu Geld gekommen. Doch erst der Sohn hatte schließlich den Eintritt in die Signoria, den Rat der Stadt Assisi, bewerkstelligt.
Inzwischen belieferte Morra nicht nur ganz Umbrien mit seinem Bauholz, sondern auch die Toscana und die Marken. Sogar aus dem Süden des Landes trafen mittlerweile erste Anfragen ein. Zudem war ihm durch einen günstigen Zufall der Quereinstieg in den Salzhandel geglückt, was seine Taschen
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