Braut von Assisi
ist zwar spät, doch die Besonderheit der Situation …«
Giacomo Morra lauschte Matteos Übersetzung, dann begann er eifrig zu nicken.
»Das, meine Herren, ist leider gänzlich ausgeschlossen!« Vasco Lucarelli schien plötzlich hellwach. »Meine Tochter hat einen schweren Schicksalsschlag hinnehmen müssen und bereitet sich nun auf ihren Eintritt ins Kloster vor. Ich möchte nicht, dass jemand ihre stille Einkehr stört. Schon gar nicht mitten in der Nacht.«
Leo gelang es, seine Gefühle zu verbergen, doch seine Gedanken überschlugen sich. Was ging hier vor?
Niemand entschloss sich innerhalb weniger Tage zu einem Leben hinter Klostermauern. Kein einziges Mal hatte die junge Frau ihm gegenüber solche Pläne erwähnt.
Er glaubte Lucarelli kein Wort. Ratsherr Morra schien es ähnlich zu gehen, denn seine Miene veränderte sich plötzlich und nahm eine Härte an, die man den gut gepolsterten Zügen gar nicht zugetraut hätte.
»Voglio vedere la figlia« , sagte er. »Adesso!«
Er bestand darauf, Stella zu sehen. Augenblicklich!
Vasco Lucarelli blieb nichts anderes übrig, als der Aufforderung zu folgen. Gebückt ging er aus dem Zimmer, tuschelte draußen eine ganze Weile mit seiner Frau, die sich bislang unsichtbar gemacht hatte, wurde dann laut, als Simonettas Keifen anstieg, und brachte sie schließlich mit einem kurzen Gebrüll zum Schweigen.
Nach einer Weile kehrte er mit Stella zurück.
Was hatten sie mit ihr gemacht? Leo konnte den Blick von der jungen Frau kaum lösen.
Sie war bleich und wirkte übernächtigt, die Wangen waren eingefallen, die Augen verweint. Das schwarze Haar stand ihr nach allen Seiten vom Kopf, als hätte es tagelang
keine Bürste mehr gesehen, das Kleid war fleckig und zerknittert. Auf ihn machte sie den Eindruck, als käme sie direkt aus einem Gefängnis. Aber dazu wären die Lucarellis doch wohl kaum fähig – ihre eigene Tochter einzuperren?
Ziehtochter, sagte eine hässliche kleine Stimme in ihm, die sich nicht mehr zum Schweigen bringen lassen wollte. Und das bekommt sie jetzt erst recht zu spüren.
Ratsherr Morra schien der seltsame Anblick ebenso zu verwirren, das war unübersehbar, doch er fasste sich und begann mit seinen Fragen.
Stella antwortete rasch und gefasst, wie es Leo erschien, doch er verstand wie gewöhnlich nur einzelne Worte.
»Ich will wissen, was sie sagt«, verlangte er nach den ersten Sätzen, da Matteo keinerlei Anstalten machte, für ihn zu übersetzen. »Schließlich geht es hier um den Beweis meiner Unschuld.«
»Verzeiht, padre !«, sagte Stella und sah ihn zum ersten Mal, seit sie den Raum betreten hatte, richtig an. »Natürlich kann ich gerne …«
»Das ist meine Sache!«, fiel der Abt ihr ins Wort. »Sie war zweimal mit dir bei den Carceri, das hat sie bisher gesagt. Beim ersten Mal erfreute der alte Eremit sich bester Gesundheit. Das zweite Mal aber konntet ihr ihn nirgendwo entdecken …«
Stella nickte und sprach rasch auf Italienisch weiter.
»Sie hat einen Korb mit Essen vor einer der Hütten gefunden. Und eine Spur von Erbrochenem, die schließlich zu dem Toten geführt hat«, übersetzte Matteo weiter.
»Genau, wie ich bereits gesagt habe«, rief Leo. »Das Gift muss in dem Kuchen versteckt gewesen sein. Ich lebe hier erst seit kurzer Zeit als Gast im Haus der Lucarellis. Wie sollte es mir da möglich gewesen sein, einen vergifteten
Kuchen herzustellen? Allein schon das ein Ding der Unmöglichkeit! «
Gemeinsam hatten Stella und er den Ratsherrn zum Umdenken gebracht, das sah Leo an Morras Zügen, die ihre vorübergehende Härte wieder verloren hatten und nun eher leicht verwirrt oder sogar beschämt wirkten.
»Man hat mich offenbar getäuscht«, übersetzte Abt Matteo Morras Erklärung. »Arglistig getäuscht. Natürlich werde ich die unselige Angelegenheit erneut dem Rat der Stadt vorlegen müssen, bis ein endgültiger Bescheid erfolgen kann. Ihr bleibt doch noch eine Weile in Assisi, Padre Leo, als geschätzter Gast von Vasco Lucarelli?«
Aller Augen ruhten nun auf ihm, auch Stellas Blick, der mittlerweile etwas Flehendes angenommen hatte, das er nicht genau zu deuten wusste. Obwohl Leo die blutbefleckte Landkarte an einem sicheren Ort verwahrt hatte, war es auf einmal für ihn, als glühe sie direkt auf seiner Brust. Er durfte nicht lügen, sein Glaube und seine Gelübde verboten es ihm. Doch durfte er die Wahrheit aufs Spiel setzen, indem er einen Weg nicht konsequent weiterverfolgte, der sich vor ihm auftat?
Und
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