Braut wider Willen
übergeben, dann entfernte Brian sich. Er hob den Kopf, und einen schrecklichen Moment traf sein Blick über die Entfernung hinweg jenen Phoebes.
Phoebe hatte das Gefühl, ihr Magen würde ihr bis in die Stiefel absacken. Hatte er sie erkannt? Eine kalte Woge namenloser Angst kroch ihr Rückgrat hoch, zog ihre Kopfhaut zusammen und trieb ihr kalten Schweiß auf die Stirn. Ähnlich hatte sie sich auf dem Stallhof gefühlt, als sie seinen wahren Charakter hinter der höflichen Fassade kurz erkannt hatte. Und jetzt konnte sie die böse Aura, die von ihm ausging, förmlich spüren. Phoebe wusste, dass es Hirngespinste waren, doch das Gefühl des Bösen, das sie erfüllte, war tief und absolut. Meg hatte immer Recht.
Instinktiv griff sie in die Tasche ihres Umhangs und umschloss die Lederbörse, die sich schwer an ihren Schenkel schmiegte. Ohne bewusste Absicht drehte sie sich zu der Laufplanke um, die zur
White Lady
führte. Im Moment war der Steg verlassen.
Phoebe lief hinauf, von dem überwältigenden Verlangen erfüllt, Brian zu entkommen, ehe er sie sah, falls er sie nicht schon entdeckt hatte. Sie sagte sich, dass er sie in ihrer Vermummung nicht erkannt haben konnte, außerdem erwartete er nicht, sie hier zu sehen.
Einmal hatte sie gespürt, dass er knapp daran war, ihr etwas anzutun, hatte gespürt, dass er eiskalt und rücksichtslos vorgehen konnte. Und eben jetzt hatte sie trotz der Entfernung, die sie trennte, wieder diesen Blick in seinen Augen gesehen. Vielleicht hatte er sie nicht erspäht, vielleicht hatte sein Blick nicht ihr gegolten. Dennoch hatte sie Angst.
An Deck angekommen, flüchtete sie sich in die Dunkelheit. Ihr Herz schlug rasend schnell, und ihre Hände waren feucht.
»He, wer ist denn da?«
Phoebe fuhr herum und sah sich einem Jungen mit frischem Gesicht gegenüber, der etwa gleichaltrig mit ihr sein mochte und sie neugierig anstarrte.
»Was geht dich das an?«, lautete ihre Gegenfrage. Unbewusst schob sie ihr Kinn vor und schlug einen Ton an, dem die Kühle des Hochmuts anhaftete.
»Ich bin Seemann«, erklärte der Junge stolz. »Und ich arbeite auf der
White Lady.
Ich habe im Hafen darauf zu achten, wer an Bord kommt und geht.«
Phoebe sah ihn genauer an. »Für mich siehst du aber nicht wie ein Seemann aus«, sagte sie, auf seine zerlumpten Breeches deutend, die er mit einer Schnur um die Taille befestigt hatte. Seine Füße waren nackt, sein Hemd fadenscheinig. »Du siehst eher aus wie ein Vagabund.«
Das schmutzige Gesicht des Jungen wirkte plötzlich niedergeschlagen. »Ich bin der Kabinenjunge«, sagte er. »Ich muss die Gangway zum Dock im Auge behalten.«
Phoebe überlegte. Wieder umschloss sie ihre Börse in der Tasche. Fast unbewusst formte sich ein Plan, so tollkühn und erregend, dass sie es kaum wagte, ihn Gestalt annehmen zu lassen.
Langsam sagte sie: »Ich bin Lady Granville. Lord Granville hat Passage auf diesem Schiff gebucht.«
Der Junge blickte sie scharf an. »Ja, das hat er. Aber von einer Lady Granville war nicht die Rede.«
»Nein, das kann ich mir denken.« Sie zog die Börse hervor und wog sie schwer in ihrer Hand. »Lord Granville erwartet mich nicht, aber du sollst eine Guinee bekommen, wenn du mir seine Kabine zeigst, damit ich dort einen Brief für ihn hinterlegen kann.«
»Eine Guinee?« Der Kabinenjunge starrte sie mit großen Augen erstaunt an. »Eine ganze Guinee?«
Phoebe nickte und löste die Schnüre der Börse. Sie zog eine Münze heraus und ließ im Licht der Heckbeleuchtung das Gold aufblitzen. »Führe mich zu Lord Granvilles Kabine und halte den Mund, bis er an Bord ist, dann bekommst du dies.«
Der Junge starrte die Münze an und leckte sich die Lippen. Es war mehr Geld, als er je gesehen, geschweige denn besessen hatte. »Hier entlang.« Er wies mit einer ruckartigen Kopfbewegung zum Niedergang und sprang voraus.
Phoebe folgte ihm, von einem Drang erfasst, der sie erbeben ließ. Sie stieg hinter dem Jungen die schmale Treppe hinunter und folgte ihm einen kurzen dunklen Gang entlang.
»Hier herein.« Der Junge öffnete auf halber Höhe des Ganges eine Tür. »Achtung auf die Stufe«, warnte er sie.
Phoebe trat über die hohe Schwelle in einen kleinen, vollgestopften Raum. Eine von einem Haken an der Decke hängende Öllampe warf verschattetes Licht auf zwei schmale, übereinander im Schanzkleid angebrachte Kojen und beleuchtete Tisch und Stuhl, die unter einem runden Bullauge am Boden festgeschraubt waren. Catos Reisetasche stand
Weitere Kostenlose Bücher