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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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Gelände durch den Schnee kämpfen, vergeblich auf der Suche nach dem Platz, wo der Mann und die Frau wohnten. Sie verfluchte sich selbst, dass sie bei deren Erklärung nicht zugehört hatte. Doch was wäre dann? Was würden sie hier vorfinden? Sie konnte einfach nicht weg. Ohne ihre kurzen, kühlen Anweisungen war Esther verloren.
    »Pressen … los jetzt … halt durch … nicht so stark … gut so … und jetzt wieder aufhören.«
    Lass es nicht schiefgehen. Lass es bitte nicht schiefgehen. Auf einmal hatte sie eine furchtbare Vision. Sie sah eine Tote, sah zwei Tote. Wir waren vollkommen blind, geistesgestört. Zwischen den Wehen hindurch heulte Esther, dass sie es nicht schaffen würde, dass sie auseinanderplatzen und sterben würde. Marjorie antwortete mit dieser merkwürdigen, beherrschten Gynäkologenstimme: »Nicht schreien, behalt das Ziel im Auge, konzentrier dich, alles ist gut …« und dachte gleichzeitig: Das ist das Ende.
    Eine scheußliche, lang andauernde Wehe. Das darf nicht so weitergehen, das wusste Marjorie auf einmal glasklar. Ich muss etwas tun. Als die Wehe endlich vorüber war, fiel Esther sterbensbang nach hinten in die Kissen und flehte um eine Pause, einen Moment der Ruhe, nicht noch so eine Tortur. Doch da auf einmal sah Marjorie die schwarzen Haare des Köpfchens.
    »Das Kind wartet nicht«, sagte sie.
    »Bei der nächsten«, sagte sie, »oder bei der danach. Und jetzt press, wie du nur kannst.«
     
    Das Köpfchen war ein Kraftakt. Esther presste um ihr Leben. Die Wehe war schlimmer als alle vorherigen, doch sie endete mit der Befreiung des Köpfchens und damit, dass die schwerste Arbeit geschafft war. Im Zimmer herrschte eine windstille Konzentration. Marjorie glitt mit ihrem Finger entlang des kleinen Halses, kontrollierte, ob sich die Nabelschnur nicht herumgewickelt hatte, und hakte ihren Finger hinter eine Schulter. Bei der nächsten Wehe rutschte das Kind mit einem Dreh in ihre Hände, sie fing es mit gespreizten Händen auf. Fühlte den warmen Leib, voller Leben. Sie sah auf den Wecker. Es war acht nach halb fünf. »Es ist ein Junge«, sagte sie. Seine Füße waren blau. Er öffnete sofort die Augen. Dann schnappte er nach Luft und gab einen Ton von sich, der entfernt an Weinen erinnerte, jedoch undefinierbar war. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er nicht schon immer da gewesen war. Hallo, Liebling, sagte sie wortlos. Aber er war nicht von ihr. Sie legte die sauberen Handtücher, die sie mit der Wärmflasche vorgewärmt hatte, um ihn. Sie wagte es nicht, an irgendetwas zu denken und wiederholte wie in einem Film alle Handlungen, an die sie sich erinnerte. Sie sog sein Näschen und seinen kleinen Mund mit einem dünnen Gummischlauch leer, band die gräuliche Nabelschnur ab. Schnitt diese dann durch, mit zwei, drei Schnitten und einer rauschenden Stille in ihrem Kopf. Sie rieb das Baby sauber, kontrollierte seine Reflexe, zählte seine Finger und Zehen. Ihre Hände erschienen neben seinen wie die eines Riesen. Sie wickelte ihn in die warmen Tücher. Jedes Bild fraß sich in ihr Gehirn ein. Dann legte sie, ohne etwas zu sagen, das Kind in Esthers Arme.
    Es gab keine andere Möglichkeit.
    Danach widmete sie sich dem Unterleib der Mutter. Sie zog die Pumps von den eiskalten Füßen. Wartete ruhig auf die Wehe, die die Plazenta heraustreiben würde. Die Wehe überraschte Esther, und sie protestierte, nun hatte sie wirklich keine Lust mehr. Marjorie nahm das blutige Handtuch weg. Sie wusch sich zum soundsovielten Mal die Hände mit Desinfektionsseife. Sie versorgte die Mutter, wusch sie, sah, dass sie sie würde nähen müssen. Das hatte sie oft genug gesehen. Mit ruhigen Bewegungen holte sie die krumme Nadel heraus und befestigte den Faden daran. Verbot ihren Händen, mit einer eisigen, inneren Stimme, zu zittern. Als hätte sie nie etwas anderes getan, setzte sie drei kleine Stiche, so schlimm war es nicht, nichts Außergewöhnliches, sie hatte viel Schlimmeres gesehen. Esther spürte nichts und sah auf das Kind. Die ganze Zeit über schwiegen sie. Marjorie verrichtete ihre Arbeit und wusste, dass Esther das Kind nicht hergeben würde.
     
    Es war gutgegangen, das war das Einzige, was zu ihr hindurchdrang. Von Zeit zu Zeit schickte sie etwas wirre, dankbare Gedanken gen Himmel. Draußen hatte es aufgehört zu schneien. Es dämmerte. Sie spürte nichts weiter als ein tiefes Gefühl der Abscheu vor sich selbst. Sie machte sich nützlich, indem sie den Allesbrenner wieder

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