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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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Kleider?«
    »Das wird niemand erfahren, du Dussel.«
     
    »Halt an«, sagte sie laut. Erschrocken trat er auf die Bremse. Das Auto hielt inmitten der verschneiten Dünenlandschaft. Wie auf ein Zeichen drehten sie sich um und sahen zwischen die Sitze, aber das Baby hatte nichts bemerkt und schlief weiter.
    »Hier ist es«, sagte sie, »es ist vier Uhr, dies ist der Ort, hier wird es passieren.«
    »Woher wusstest du das?«
    »Es war, als würde ich aus einem merkwürdigen Dämmerzustand aufwachen«, sagte sie, »und auf einmal verspürte ich den Drang zu pressen.«
    »Und was hast du zu mir gesagt?«
    »Ich habe gesagt, dass du das Auto parken solltest, irgendwo am Straßenrand. Ich sagte, dass ich ein Kind bekäme.«
    »Woher wusstest du das jetzt auf einmal?«
    »Ich wusste es. Auf einmal begriff ich, was mit mir los war.«
    »War es nicht so, dass die Fruchtblase geplatzt war?«
    »O … ja … natürlich.«
    Ich muss weiterhin aufpassen, ich muss mich weiterhin konzentrieren. Sie tröpfelten Wasser aus der Thermoskanne über den Sitz. Und auf den Boden.
    »Und was habe ich gemacht?«
    »Du bist meinen Anweisungen gefolgt. Ich bin Krankenschwester. Es gab kein Zurück mehr.«
    »Hätten wir nicht lieber schnell nach Blenheim weiterfahren sollen, in ein Krankenhaus?«
    »Dafür war es zu spät. Das Kind war bereits unterwegs und wartete nicht. Ich spürte es kommen.«
    »Und was haben wir gemacht?«
     
    Sie hing schräg über dem Autositz und sprach mit ihm alles im Detail durch. Sie machte ihm die Haltung vor, beschrieb den Prozess und erklärte, welche Rolle er dabei spielte. Wie er die Nabelschnur abgebunden hatte, mit dem Verband aus dem Erste-Hilfe-Kasten, den sie immer im Auto hatten, und wie er den dicken Strang mit der Verbandschere durchgeschnitten hatte. Sie zog das blutige Handtuch aus der Tasche und faltete es auseinander, zeigte Hans die Plazenta. Er wollte nicht zu lange hinsehen. »Bloody hell«, seufzte er. Um acht Minuten nach halb fünf nahm er ihr Kind mit Decken und allem Drum und Dran aus der Kiste und reichte es ihr.
    Draußen grub Hans ein Loch in den kalten Dünenboden und begrub darin das blutige Handtuch und die Plazenta. Er markierte den Ort mit einem Stock, sodass sie ihn wiederfinden würden, falls das notwendig sein sollte. In der Stille des Autos machte sie mit ihrem Kind Bekanntschaft. »Hallo, Liebling«, sagte sie, »wie schön, dass du da bist«, und auf einmal konnten ihre Augen Zentimeter für Zentimeter wieder klar sehen. Sie wanderten über das kleine Gesicht, über die fein gezeichneten Augenbrauen, das kleine Näschen und dann nach unten zu seinen Händchen, die vollkommen entspannt unter dem Kinn ruhten, ohne irgendeinen Widerstand. Warum verspüren wir nur so viel Widerstand, und ihre Augen studierten genau die kleinen, langen Finger mit Nägeln wie gotische Fenster einer winzig kleinen Kathedrale. Aus der Zeit ausgeschnitten. Mit einem Ruck hob sie den Kopf und war wieder ganz bei Sinnen. Sie seufzte tief, spannte die Muskeln an und gab laute merkwürdige Geräusche von sich, um wach zu werden. Das Baby gähnte. Es war einfach unvorstellbar, dass es so eine menschliche Regung zeigen konnte, unvorstellbar. Jeder auf der Welt müsste das sehen. Ihr Zeigefinger strich über die Wange des Kindes, und sie fühlte dessen wunderbare Vollkommenheit. Reflexartig drehte es den weit aufgesperrten Mund zu ihrer Hand und suchte stürmisch und voller Lebenskraft nach einer Brustwarze, ohne dabei aufzuwachen. Sie wurde erfüllt von Liebe, doch es war nicht die richtige Zeit, sich unbekümmert zu geben. Noch waren sie nicht am Ziel, eine große Hürde musste noch genommen werden.
     
    Kurz vor Büroschluss taumelten sie in das kleine Gemeindehaus von Blenheim. Hans trug das Bündel mit dem Säugling auf seinem linken Arm, mit seinem rechten Arm stützte er seine zitternde, frisch entbundene Frau. Das Zittern war nicht gespielt, Schlafmangel und Hunger hatten Marjorie jegliche Körperwärme entzogen. Mit ihr passierten merkwürdige Dinge, und sie ließ sie geschehen. Als stiege sie aus ihrem Körper heraus und liefe nun in doppelter Ausführung über den wogenden Teppich weiter. Schritt für Schritt näherten sie sich dem Tresen, wo die Angestellte, eine grauhaarige Dame, gerade abschließen wollte.
    »Good Lord!«
    Erschrocken zog die Dame für die junge Frau einen Stuhl heran. Es gab keinen Grund, an ihrer Geschichte zu zweifeln. Man musste nur in die kreideweißen Gesichter sehen,

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