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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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dem die Mutter für ihre zwei Kinder spielte. Alle erdenklichen klassischen Konzerte, einfach aus dem Kopf, mit solchem Pathos, dass ihren Kindern beim Zuhören die Tränen in die Augen traten, ohne dass sie verstanden, woher diese Tränen rührten. So etwas prägt Kinder. Auf jeden Fall hatte es eine Geige gegeben. Das konnte man am Handtuch sehen. Es hatte auch mit den drei Kerzen zu tun, die Frank auf den Badewannenrand gestellt hatte, mit der Musik, die durchs Haus plätscherte, mit den Büchern, die überall herumlagen, und mit dem Tisch, den er hinter dem Haus stehen hatte und den er jetzt deckte, weil sie draußen essen würden –
draußen
essen, und das am Abend. Es war nicht nur Derks Schuld, erkannte sie großherzig, sie selbst war in den letzten Jahren genauso blind gewesen für all die Möglichkeiten, die das Leben bot. Vielleicht kam es von dem ständigen schlechten Wetter und dem fehlenden Licht im Bunker. Ada hasste den Bunker. Zum ersten Mal gestand sie sich zu, das offen zu denken. Sie hasste den Bunker mit dem kalten, harten Beton unter den Füßen, auf dem keine Farbe hielt, und den Mauern, die so dick und stark waren, dass man die Elektrizitätskabel nicht darin verbergen konnte, sodass sie lose im Haus herumlagen. Im Haus, in dem es nachts so stockdunkel war, dass sie oftmals aus dem Schlaf hochschreckte. Sie hasste es, und sie hatte es vom ersten Tag an gehasst. In der letzten Zeit merkte sie jedoch, dass Derk es eigentlich auch nicht mehr ertragen konnte, aber zu stolz und starrköpfig war, es zuzugeben. Für die Kinder war es ebenfalls schlecht, sie blieben zu oft oben auf dem Hügel, weil Ada nicht ständig mit nach unten kommen konnte und sie zu klein waren, um unbeaufsichtigt zu spielen. Das Leben hier oben isolierte die Kinder. Sie hasste es, und sie hasste Greymouth, den trostlosen Ort mit den Kohlegruben, die alles dreckig und schwarz machten, mit dem gefährlichsten Hafen von Neuseeland, wo die Boote die Kohlen für Auckland aufluden. Bei Niedrigwasser oder Sturm konnten sie nicht einfahren, sondern mussten auf dem offenen Meer warten. Ein geschäftiger, nasser, dreckiger Hafenort, in dem Züge ein- und ausfuhren und der Fluss regelmäßig über die Ufer trat. Als die zwei Pflichtjahre für Derk vorbei waren, hätten sie problemlos umziehen können, es gab nichts, was sie davon abhielt. Am Anfang hatte Ada vorsichtig gedrängt, aber Derk verstand nicht, wovon sie redete. Er wurde ungeduldig, was wollte sie überhaupt? Und er verbat ihr den Mund – sie mit ihrer ständigen Unzufriedenheit. Sie waren geblieben.
The wettest place on earth
, so wurde dieser Landstrich genannt. Im Winter konnte es ohne Übertreibung Monate lang am Stück regnen. Es war zum Verrücktwerden.
    Das würde sich alles ändern. Sie würden umziehen, weg von der Westküste, vielleicht sogar ganz weg von der Südinsel, zum Beispiel hierher, in die Wairarapa. Und dann würden sie in einem normalen, sonnigen Haus wohnen, vielleicht in einem Bungalow, mit großen Fenstern, in dem jedes Kind ein eigenes Zimmer hätte. Und natürlich mit einem Badezimmer mit Badewanne. Einen Plattenspieler mit Jazzplatten müssten sie anschaffen, und dann würde nicht mehr in der Zeit von fünf bis sechs auf Kurzwelle Radio Nederland empfangen. Die Namen im Radio sagten ihnen sowieso nichts. Ada war sich sicher, dass Frank kein Radio Nederland hörte. Überall würde sie Stapel von Büchern hinlegen. Derk brauchte niemals zu wissen, was sie wirklich in der Zwischenzeit getan hatte. Er würde sie lediglich aus Christchurch als anderen Menschen zurückkehren sehen und darüber glücklich sein. Er würde selbst spüren, was passiert, wenn man die Fenster weit aufmacht und milde Luft hereinströmen lässt. Das alles würde ihm guttun, und die Kinder würden aufwachsen wie Menschen von Welt. Was hier auf diesem Weinberg heute Nacht passieren würde, davon würden letztlich alle profitieren.
     
    Dieses Um-den-Brei-Herumreden. Erzähl doch mal von Marjorie, sagte Ada und zog ihr nacktes Bein an, sodass der Fuß auf der Sitzfläche ihres Stuhls ruhte. Schnell bedeckte sie es mit dem glatten Stoff ihres gestreiften Kleides. Sie redeten immer weiter, während des Essens und noch lange danach, mit leisen Stimmen, um die Stille der Nacht nicht zu stören. Der Mond war fast voll und erleuchtete die Felder. Frank hatte einen Salat und Reis gemacht. Als sie nach dem Bad nach draußen kam, legte er gerade Spieße auf einen Rost über dem Feuer, mit

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