Brautflug
bestimmen, wann unser Tag zu Ende ist. Dies war nicht ihre erste Kollektion, aber ihre erste Schau: die offizielle Eröffnung der Lady Esther Boutique. Dass man da natürlich seine besten Ideen vorzeigen musste, war ja klar. Dagegen gab es nichts einzuwenden, doch in den Augen der Schneider las sie, dass ihr Verhalten anfing, krankhafte Formen anzunehmen. Und dabei wussten sie nicht einmal, was sie nachts in ihrer Küche umtrieb.
Sie verbannte Rits, der jeden Tag blasser und britischer wurde mit seinen weichlichen Hüften, ohne Angabe von Gründen aus ihrem Bett. Er schien darüber jedoch eher erleichtert als beleidigt zu sein. Dass sie ihn Rits nannte, holländisch, hart ausgesprochen, ärgerte ihn maßlos, das wusste sie, er wollte wie jeder andere mit seinem richtigen Namen angesprochen werden. Doch er würde es unter keinen Umständen wagen, sich ihr zu widersetzen.
Reiche Familien kamen ins Modehaus, um ihre Garderobe oder Leinenwäsche mit aufgestickten Monogrammen, als kostspielige Aussteuer, zu bestellen. Das Personal musste der französischen Sprache mächtig sein, denn den Damen gefiel es, mit »Madame« angesprochen zu werden. Über dem Parterre gab es noch zwei Etagen mit Ateliers, insgesamt waren es etwa acht. Dort arbeitete ihr Vater in der Pelzabteilung, wo den Damen große Stücke vorgelegt wurden – möchten Sie eine Dreivierteljacke mit einem Hermelinkragen oder wäre Ihnen Astrachan bis zu den Knöcheln lieber? Vor ihrer Heirat hatte Esthers Mutter ebenfalls in dem Modehaus gearbeitet, bei den Blusen, Röcken und Kleidern. Mäntel und Kostüme, das war Männersache. Ihre Eltern hatten sich in der Kantine kennengelernt. Der Direktor, der ein französisches Bärtchen trug und von allen auf Händen getragen wurde, forderte hundertprozentige Hingabe für die Firma und stellte die jungen Frauen vor die Entscheidung: entweder heiraten und kündigen oder ledig bleiben und arbeiten. Sie standen kurz davor, ihre Verlobung zu lösen, doch Mutter entschied sich für Vater. In den Abendstunden, wenn Esther und Salomon im Bett lagen, arbeitete sie dennoch weiter als Stickerin und fertigte Monogramme ineinander verschlungener Nachnamen an, so verbunden war sie mit dem Modehaus.
Nach den Geschehnissen im Wohnwagen bei Marjorie und Hans Doorman, als sie an dem Punkt angelangt war, dass sie sterben wollte, hatte sie sich irgendwann selbst vom Sofa hinten im Atelier losgerissen und mit zitternden Händen die vertraute Dompteurspeitsche ergriffen. Jeden Gedanken an das quengelnde kleine Bündel hatte sie beiseitegelegt zu den anderen verdrängten Erinnerungen und unwillkommenen Gefühlen, zu den Raubtieren, die sie im Zaum halten musste. In den Jahren darauf war sie wie früher der Chef in ihrem eigenen Zirkus, und Lady Esther machte sich in Christchurch durchaus einen Namen. Sie musste vergrößern, denn die Aufträge wurden umfangreicher und ihr Name über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Eines Tages stolzierte ein blasser, junger Mann aus London in den Laden. Er hatte ein spitzes Gesicht, stellte sich als Richard vor und bot an, für sie zu entwerfen und zuzuschneiden. Als er dann jedoch am nächsten Tag dabei zusah, wie sie Stoff an einem Modell drapierte, wurde er noch blasser, als er ohnehin schon war, und verkündete, dass er nie im Leben für sie arbeiten könnte, weil er niemals können würde, was sie konnte. Was für ein Schleimer, dachte Esther sich im Stillen, laut sagte sie jedoch: Dann erledige die einfachen Basisdinge für mich. O nein, antwortete er betrübt, ich werde niemals mit Ihnen wetteifern können, ich kann nicht für Sie arbeiten. Sie ließ ihn eine Zeit lang weiterschleimen und sagte dann: Werd doch mein persönlicher Assistent. Er hatte einen lasziven Augenaufschlag, der sie durchaus anzog. Voller Hingabe ging er seiner Aufgabe nach.
Nach fast zehn Jahren Lady Esther, mit der einschläfernden Aussicht auf ein erstes Jubiläum, beschloss sie, dass es an der Zeit war, den ganzen Laden gehörig umzukrempeln. Ihr Salon in der Cashel Street – in dem der Geruch der alten Rose noch immer manchmal in unerwarteten Ecken aufstieg – wurde zu klein, die Ateliers waren aus Platzmangel über die gesamte Stadt verteilt. Zudem langweilte Esther die ständige Wiederholung. Zweimal im Jahr eine Kollektion, so konnte es noch jahrelang weitergehen. Und was ihre Kunden von ihr verlangten, war inzwischen zur Routine geworden. Sie wollte sich nicht festlegen lassen. Die Damen in Christchurch hingen
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