Brautflug
Start, und wir sind in der Luft! Noch nicht mal auf der Hälfte der Startbahn!« Das Flugzeug neigte sich zur Seite, wackelte, sank und stieg, dasselbe grässliche Gefühl im Magen wie gestern.
»Zehntausend Pferde galoppieren uns in die Luft«, bemerkte Frank.
Aber Hufe müssen doch Funken sprühen. Sie sah Getrappel im luftleeren Raum, ein senkrechter Fall nach unten, ein blutiger Berg aus gebrochenen Knochen und zertrümmerten Schädeln, aus denen Hirn herausgespritzt ist. Dein Wille geschehe. Sie krallte sich an die Sitzlehne und richtete ihren Blick auf den Teil des Flügels, den sie sehen konnte. Sie hingen schief. Das ging nicht gut. Dass der Mensch fliegen könnte, war ein hochmütiger Irrtum. Vergib uns.
Über dem Gebrüll der Motoren erklang Gesang aus Mädchenmündern. »Hup, Holland, hup, lasst den Löwen nicht im Regen stehen.« Fröhliche Seelen hatten eine Fassung für besondere Gelegenheiten gedichtet: Auf dem Fußballplatz feierten sie keine herausragenden Erfolge, doch hoch in der Luft würde Holland vielleicht Champion werden können. Von hinten ertönte ein heiseres Lachen. »Was für ein schlichtes Lied.«
Frank grinste. Marjorie sang aus voller Kehle mit. Niemand schien etwas zu merken. Wir fallen herunter, wollte sie schreien, aber ihre Kiefer wollten sich nicht bewegen. In einem Angstkrampf saß sie in ihren Sitz geklebt und fühlte, wie das Flugzeug machtlos vibrierend um seine letzten Momente in der Luft kämpfte.
»Was ist los?«
Sie konnte ihn nicht ansehen, denn dann würde sie ihren Blick von dem Flügel lösen müssen.
»Hast du Angst?«
Mit einer winzigen Geste zeigte sie nach draußen.
»Wir fliegen eine Kurve, das ist alles.« Er sah sie weiter an. Das Flugzeug kippte, richtete sich wieder auf und kippte wieder. »Es passiert nichts. Du musst dich entspannen, dann macht es Spaß. Wie auf dem Jahrmarkt.« Sie starb, und in der Ferne schrie jemand etwas von Jahrmarkt.
»Denkst du, dass wir abstürzen, wenn du redest?«
Das Reißen von Papier, er packte das Kaugummi aus. »Wenn du Probleme mit dem Luftdruck hast, musst du kauen. Bitte schön.« Er hielt ihr etwas vor den Mund. Sie schüttelte den Kopf, sie konnte nicht, nicht jetzt. Er lachte und steckte es sich selbst in den Mund.
»Na, dann nicht …«
Seine Hand glitt ruhig über die ihre hinweg, die sich wie eine Kralle um die Lehne geklammert hatte. Ada spürte die angenehme, trockene Wärme.
»Konzentrier du dich nur, dann bleiben wir wenigstens in der Luft.«
Behutsam bewegte sie die Augen in seine Richtung. Er klopfte ihr freundlich auf die Hand.
»Ich hoffe, dass du bis Christchurch durchhältst.«
Inzwischen sangen immer mehr Leute mit, die Stimmung wurde ausgelassener. Frank stimmte fröhlich ein, bellend und kauend. Ab und zu nickte er ihr aufmunternd zu.
Ada löste die Hand, mit der sie die Lehne umfasste, ein wenig und dachte nach. Aber das Flugzeug rumpelte und stieß durch die Wolkenschicht, und das machte das Nachdenken nicht gerade einfacher. Erst als die letzten Wolkenfetzen wie Schaum am Rumpf abgeglitten waren und sie in eine bildschöne, neue Welt hineinflogen, das Flugzeug scheinbar zur Ruhe gekommen war und die Kabine in blendendes, weißes Sonnenlicht gebadet wurde, erst dann ging ein Seufzer durch Adas Körper. Sie beendete ihr Gebet, entspannte die Finger, schloss die Augen und ließ die Sonne über ihr Gesicht gleiten.
Irgendetwas hatte es mit diesem Unbekannten auf sich. Keine halbe Stunde später – inzwischen flogen sie mit Dauergeschwindigkeit und schienen schon zwei Minuten vor ihrem eigenen Zeitplan zu liegen – hing Esther an seiner Sitzlehne auf dem Gang und Marjorie steckte ununterbrochen ihren Kopf zwischen ihren Sitzen hindurch. Ada saß nun wieder wie festgeklebt auf ihrem Sitz, denn sie hatte entdeckt, dass zwischen einigen Paneelen Licht hindurchdrang, und außerdem kräuselte sich hier und da eine dünne Schliere Rauch oder Nebel in die Kabine. Das Geräusch der Motoren blieb dumpf und bedrohlich, und manchmal heulten sie ohne ersichtlichen Grund auf. Alles in der Kabine vibrierte. Sie machte sich große Sorgen deswegen und klammerte sich am Lächeln auf dem Gesicht der Stewardess fest. Das Gewirr und Gesumm um den jungen Mann entging ihr jedoch nicht.
Marjorie zog ein Foto ihres Verlobten hervor.
»Er heißt Hans. Hans Doorman. Hübsch, nicht wahr? Er ist schon zwei Jahre dort, und jede Woche schreibt er einen Brief. Er hat sehr schöne Hände. Er arbeitet als
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