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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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Nachbarin prüfend durch die Finger gleiten, »davon werde ich profitieren.« Das Urteil in ihren Augen war Ada nicht entgangen. Noch nie zuvor hatte sie so eine Frau aus solcher Nähe heraus betrachtet.
    Marjorie faltete und stopfte so lange, bis die Meter weggleitenden Tülls ihr gehorchten. Und Esther würde davon profitieren, von diesem konservativen Geschmack. Die langen, schwarzen Wimpern hoben und senkten sich kühl, blinzeln konnte man das nicht nennen. »Ich bin Modeschöpferin.«
    In dem Kupferstich mit dem Totenkopf pudert die Frau sich zum letzten Mal die Nase, erhebt sich schwebend von ihrem Schemel, schlägt die weiten Falten ihres Abendkleides anmutig zurück und trippelt zum Schauspielhaus, nirgendwo ein Schädel zu sehen.
    »Heiratest du?«, fragte Marjorie.
    »Das habe ich vor.«
    »Und dann auch noch Kinder bekommen?«
    Esther schob den letzten Rest widerspenstigen Tülls von sich, ihre Armreifen klimperten heftig. »Vielleicht werde ich selber Stoffe entwerfen«, sagte sie.
     
    »Let me be by myself in the evenin’ breeze …«
     
    Es wurden Zeitungen und Kaugummipäckchen verteilt. Ein Steward lief nach vorne. »Guten Tag, meine Damen und Herren … ich weiß nicht, ob meine Stimme bis ins Heck zu hören ist, jedenfalls heiße ich Sie im Namen der Besatzung herzlich willkommen an Bord …« Das Kabinenpersonal arbeitete auf Hochtouren, wie eine gut geölte Maschine, sie mussten ihrem Namen alle Ehre machen, das Kaugummi trug seinen Teil dazu bei, verstehen tat Ada das allerdings nicht.
    Ihr neuer Bekannter wusste Bescheid.
    »Für die Ohren, beim Starten.«
    Ada starrte verlegen auf das Päckchen und versuchte sich vorzustellen, wie das ging.
    »Stimmt was nicht?«
    Sie hasste ihre eigene Unwissenheit.
    »Muss man erst darauf kauen?«
    Er sah sie weiter an, seine Augen blitzten vergnügt auf.
    »Ja.«
    Das Einzige, was sie tun konnte, war, darauf zu achten, was die anderen taten. Sie drehte sich zum Fenster, sah den Herzog von Gloucester vor dem Kalkstrich stehen, und zeigte nach draußen, erleichtert, sieh nur.
    Frank beugte sich über sie herüber, sie hielt den Atem an. Er hatte ein scharfes, irgendwie arrogantes Profil, mit einer Nase, die man nicht wirklich als Hakennase bezeichnen konnte, die aber durchaus respekteinflößend wirkte. Ein Herrschergesicht.
    Auch andere hatten den Herzog entdeckt. Jeder versuchte, durch die kleinen Fenster hindurch das Geschehen zu verfolgen. Sie drückten sich die Nasen am Glas platt. Marjorie tippte sie an, ob sie eigentlich wussten, dass er ein Onkel von Königin Elizabeth war? Das würde auch ihre Königin werden. Die Stewardess lief zu der offenen Tür, winkte den Fotografen zum letzten Mal, schloss dann die schwere Tür und verriegelte sie. Sie waren allein.
    In der Kabine leuchteten die Deckenlichter auf.
    Ein Ruck ging durch das Flugzeug und erschütterte die Reihen – der Fliegende Holländer rollte schwerfällig zur Startlinie. Die drei Konkurrenten der Handicapklasse würden mit fünf Minuten Abstand voneinander aufsteigen, sie waren als Erste an der Reihe. Wieder winkten die Wegfliegenden, diesmal hinter den kleinen Fenstern. Ada nicht, sie hatte genug vom ziellosen Winken, und Frank tat es auch nicht.
    An der Kalklinie blieb das Flugzeug stehen, einen Moment lang neigten sich alle vornüber, sie hingen in ihren Gurten. Draußen erhob der Herzog seine grüne Flagge. Eine eigenartige, gespannte Stille erfüllte die Kabine. Dann schwoll das Geräusch der Motoren dumpf und dunkel an. Ada schloss die Augen. Vater unser im Himmel. Die Stewardess setzte sich als Letzte und schnallte sich schnell an. Sie zeigte den Leuten, die in der Nähe saßen, ihre Armbanduhr. »Noch siebzig Sekunden.« Ada wimmerte leise, und Frank ergriff ihre Hand, aber da sich das nicht gehörte, zog sie sie vorsichtig zurück. Dabei überkam sie allerdings das Gefühl, dass sich dies ebenso wenig gehörte. Glücklicherweise schauten alle nur auf den Herzog.
    Ein Moment äußerster Spannung folgte, dann wurde die Flagge gesenkt.
    »Gas geben«, sagte Frank.
    Mit einem kräftigen Ruck stoben sie über die Startlinie, vorbei an den Männern mit den Walkie-Talkies, die Startbahn entlang. Als sie in ihrem Sitz nach hinten gedrückt wurde, spürte sie nun zum zweiten Mal die Gewalt, während ihr das Herz in der Brust raste. Vater unser im Himmel. Unter dem Flugzeug knallte und wummerte es.
    »Wir sind in der Luft«, rief die Stewardess, »fünfundzwanzig Sekunden nach dem

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