Brautflug
Tiefe eines Flusses gleiten, bis die Atemnot sie an die Oberfläche zurückzwang. Ihr Körper nahm unter seinen Händen Form an. Eine prächtige Form, stark und sanft zugleich. Er stöhnte glückselig. »Kommst du mit mir?«
Jetzt, dachte sie. Jetzt ist der Moment. Jetzt.
»Willst du mit mir kommen?«
»Das geht nicht.«
»Willst du es?«
»Das darf ich nicht.«
»Aber willst du es denn?«
»Nein.«
»Lügnerin.«
Sie biss ihm in die Unterlippe und brachte ihn mit einem Kuss zum Schweigen, ein Kuss, der dauerte und dauerte, weil sie in ihm ihr ganzes Leben erlebte. Und nach diesem Kuss blieben sie minutenlang mucksmäuschenstill stehen, die Arme umeinander geschlungen, so nah beieinander, dass ihre Atmung den gleichen, ruhigen Rhythmus annahm, Minuten, in denen sie sah, wie es sein könnte, eine sonnige Liebe, ein befreites Leben. Der breite Weg.
Er flüsterte weiter, dass es möglich war, wenn sie es wollte, doch dieses Mal ließ sie seine Worte geradewegs im Dunkeln um sie herum verschwinden. Sie konnte es nicht. Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden. Dafür ist der Mensch zu klein. Einen heiligen Bund brechen und dann auch noch mit einem Gottlosen. Denn Gott kennt den Weg der Gerechten, aber der Gottlosen Weg vergeht. Oh Herr, errette meine Seele vor der trügerischen Zunge. Trügerische Zunge, dachte sie, als er ihren Namen in ihr Ohr flüsterte.
Nach diesen Minuten hatte sich ihr Herz verhärtet, und sie löste sich aus der Umarmung, während sie den Verlust in jeder Zelle ihres Körpers verspürte. Ich tue das Richtige, dachte sie ratlos, kein zweiter großer Fehltritt in meinem Leben, endlich tue ich das Richtige, so fühlt sich das also an. Sie erstickte seine Proteste, hörte den trockenen Klang ihrer eigenen Stimme und machte sich feige die Tatsache zunutze, dass der kurze Aufenthalt vorbei war und die Reise fortgesetzt werden musste.
Von jetzt an schlief niemand mehr – die letzte Etappe, das war ja unvorstellbar, nur noch etwa sechs Stunden zu fliegen. Die Stimmung hob sich von Minute zu Minute. »Sie sind eine bewundernswerte Gruppe«, sagte der Steward, »in der Sturmfront haben Sie sehr wohl Ihre Lufttaufe bekommen, doch ich sehe Ihnen nicht den kleinsten Hauch von Angst an. Wir werden Sie möglicherweise nie wiedersehen, aber als Fluggesellschaft werden wir Sie vermissen.«
Nach dem Steigflug wurde ihnen die letzte Mahlzeit serviert: Tee, Kaffee und Rosinenbrot. Es war Nacht, aber das Flugzeug flog vor Eifer zitternd mit fünfhundert Stundenkilometern – der bislang höchsten Geschwindigkeit ihrer Strecke – der Morgenröte entgegen. Ada starrte im Dunkeln auf das schwarze Wasser unter ihnen und wartete vergebens auf die Genugtuung, die sie nun mit Recht erhalten sollte. »Das tasmanische Meer«, sagte Marjorie mit vollem Mund, »nach unserem Landsmann Abel Tasman.« Sie hatte ihren Platz nicht mehr hergegeben. »Gib mir deine Adresse«, sagte sie, »dann bleiben wir in Kontakt.« Ada schrieb die Adresse ab, die hinten auf Derks Brief stand. Marjorie hatte nur eine vorläufige Unterkunft in einem
Boarding House
, weil Hans noch kein passendes Haus gefunden hatte. Neugierig studierte sie den Namen der Straße in Greymouth. »Was ist das für ein Haus?«, fragte sie.
»Ein Bungalow«, sagte Ada, so leise, dass Frank hinter ihr es nicht hören konnte. In dem Brief hatte Bunker gestanden, Bunker, sie hatte es bestimmt hundert Mal gelesen, weil sie es nicht glauben konnte. In einem Bunker konnte man nicht wohnen, das war kein Haus, aber so stand es dort, jedes Mal wieder. Am nächsten Tag hatten ihre Brüder ihren Lehrer gefragt, und der hatte gesagt: Gibt es nicht, es gibt keine Bunker in Neuseeland. Dort hat es keinen Krieg gegeben, es wird ein Bungalow sein. Er hatte das Wort buchstabiert, Bungalow, das war eine moderne Art von Haus, alles ebenerdig und mit großen Fenstern, sodass das Licht von allen Seiten eintreten kann. Sie hatte versucht, aus dem gekrickelten Wort in dem Brief Bungalow zu machen, und ja, mit ein bisschen Mühe war es ihr gelungen, und erleichtert hatte sie über ihre Hirngespinste gelacht.
»Ein Bungalow«, wiederholte Marjorie, »Glückspilz.«
Die letzten Stunden stieg die Spannung auf eine prachtvolle Ankunft in Christchurch. Von Langeweile konnte keine Rede mehr sein. Aus dem Cockpit erklang die Bitte, das Flugzeug so sauber wie möglich zu hinterlassen, weil es unmittelbar nach der Ankunft von Presseleuten und Interessierten
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