Brautflug
verloren. Eine kleine Pause durften sie sich also erlauben.
»Schau dir das an«, sagte Marjorie, die anscheinend neben ihr saß, als sie aufwachte. Sie zeigte nach hinten, wo Esther und Frank, die Köpfe aneinandergelehnt, dalagen und schliefen, und sie machte eine Geste, die trinken und oh, là, là hieß.
Als einzigem Teilnehmer des Flugrennens, der Brisbane anflog, wurde der Liftmaster ein tosender Empfang geboten. Hunderte, vielleicht sogar Tausende emigrierter Niederländer hatten sich im Dunkeln vor der erleuchteten Halle versammelt, an der Transparente mit der niederländischen Flagge hingen. Einige waren tagelang unterwegs gewesen, um die Ankunft des Fliegenden Holländers nicht zu verpassen. Mütter trugen kleine Kinder im Pyjama auf dem Arm. Bewegt sangen sie die Nationalhymne, als die Auserwählten auf ihren geschwollenen Füßen die Treppe herunterstolperten. Gleich danach stimmte jemand einen Gassenhauer an: »Und dass es starke Kerle sind … dass wollen wir jetzt … sin … gen.«
»Leider«, sagte Esther.
»Darum sind wir ja da … immer und überall!«
Ada hatte während des gesamten Landeanflugs versucht, sich die Schuhe wieder anzuziehen. Die Schnürbänder musste sie offen lassen, sie flatterten hin und her. Krampfhaft hielt sie sich rechts und links am Geländer fest und folgte Marjorie, die mit verschlafener Stimme mitsang. »Überall, überall, wo die Mädchen sind, wo die Mädchen sind …« Die Mädchen winkten den flatternden Fahnen zu und lachten höflich. Als sie unten waren, bekamen sie eiskalte Coca-Cola serviert, ein Getränk aus Amerika, von dem man rülpsen musste.
»Wo die Mädchen sind … da geht es rund!«
Es war hier nicht ganz so heiß, und keine Sterne waren zu sehen. »Es ist bewölkt«, bemerkte Marjorie entrüstet. Ada sah Frank und Esther weiter vorne bei den Journalisten stehen und interessiert die live übertragene Funkreportage für das Vaterland verfolgen. Es wurden aktuelle Zeitungen ausgeteilt, Abendzeitungen mit Berichten über den Wettkampf. In einer australischen Zeitung wurde über die »Dutch Bride Plane« gesprochen.
Zusammen mit Marjorie und den anderen Bräuten ließ Ada sich zu den jubelnden Menschen hinter den Absperrseilen führen. Sie wusste nicht, was sie von diesem Aufenthalt halten sollte, und bei jedem Schritt taten ihr die Füße weh. Die allgemeine Euphorie wuchs. Die Seile wurden gelöst, Auswanderer stürzten nach vorn und begrüßten Auswanderer. Sie wurden umarmt, geküsst und gekniffen. »Das ist das Schönste, was ich seit Jahren erlebt habe«, rief ein Mann unter Tränen und zeigte auf das Flugzeug, »das nenne ich niederländische Courage!« Es wurden Mitbürger aus derselben Stadt gesucht, aus derselben Gegend. »Rotterdam!« »Eindhoven!« »Tilburg!« Die Fotolampen blitzten ununterbrochen. Neben ihr schüttelte Marjorie Hände, wie ein vergrippter Filmstar bei einer Premiere: tapfer lächelnd, jedoch zu schwach für die erforderliche Begeisterung. Bei einer alten Frau blieb sie stehen. »Wie lange sind Sie schon hier?« Fünfundvierzig Jahre, antwortete die Frau. Marjorie schlug erschrocken die Hand vor den Mund, als würde etwas erst jetzt zu ihr durchdringen.
Sobald es irgendwie ging, entfernte Ada sich unauffällig aus dem Gewimmel bei der Absperrung und suchte Frank. Hinter dem Tankwagen erkannte sie seine Gestalt im Dunkeln, und ihr Herz machte einen Sprung. Er stand dort mit dem Rücken zu all dem Trubel und redete mit einem Techniker vom Bodenpersonal. Sie wartete und starrte auf seinen Rücken, jede Bewegung, die er machte, nahm sie in sich auf: die Art, wie er beim Zuhören seine Haltung veränderte, sein aufmerksames Nicken, die unwillkürlichen Bewegungen, wenn er eine Frage stellte, seine Konzentration, sein Ernst, der Klang seiner Stimme, das dunkle, verhaltene Lachen, all die Dinge, durch die sie ihn schon jetzt unter Tausenden erkennen würde, und auch all die Dinge, die sie nicht sah, aber dennoch wusste, wie die Farbe seiner Augen sich vertiefen konnte, wenn er sie ansah, die Art, wie er sie ansah, all diese Dinge.
Wie ihr Leben aussehen würde.
Angespannt blieb sie stehen, bis er sie ebenfalls entdeckte und auf sie zulief. Er ergriff ihre Hand und zog sie mit sich, um das Flugzeug herum. Jetzt muss ich stark bleiben, dachte sie, aber im nächsten Moment ging im Dunkeln das Küssen wieder los, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte, als würde der Boden unter den Füßen wegbröckeln und sie in die
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