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sich bereit erklärt zu kochen. Die Arme sind ihm lang von Tüten voller Lebensmittel, Yousefs Nase ragt knapp über einen riesigen Pappkarton. Beide sind beladen wie Packesel, also schnappt sich Fatima die Zeitung.
»Noch so eine Anzeige«, sagt sie. »Großformat.«
»Worum geht’s?«
»Soll ich vorlesen?«
Jehuda wuchtet die Tüten auf den Küchentisch.
»Sei so gut.«
»Der Sieg der israelischen Armee im Sechstagekrieg hat das Volk und den Staat in eine neue und schicksalhafte Ära gestellt. Das vollkommene Land Israel ist jetzt in den Händen des jüdischen Volkes, und so wie wir nicht das Recht haben, auf den STAAT ISRAEL zu verzichten, sind wir verpflichtet, das zu erfüllen, was dieser Staat uns nun in die Hände gab: DAS LAND ISRAEL .«
Jehuda nimmt ihr die Zeitung aus den Händen.
»Jetzt geht’s aber los«, sagt er.
Liest weiter:
»Wir sind zur Treue der Vollständigkeit unseres Landes verpflichtet, s owohl für dessen Vergangenheit als auch für dessen Zukunft, und keine Regierung in Israel hat das Recht, diese Vollständigkeit aufzugeben. Die heutigen Landesgrenzen sind die Garantie für Sicherheit und Frieden – und auch für eine totale nationale Stärke, materiell und geistig. In diesen Grenzen wird allen Bewohnern Freiheit und Gleichheit, die dem Staat Israel zugrunde liegen, zuteilwerden, ohne Unterschiede.«
»Da bin ich aber beruhigt«, spottet Yousef, schnappt sich ein Messer und beginnt, Karotten zu schneiden.
»Ich nicht.« Phoebe kommt aus dem Arbeitszimmer, bricht ein Stück Staudensellerie ab und beginnt daran zu knabbern. »Diesmal gibt es übrigens Unterzeichner.«
Und wer da nicht alles unterzeichnet hat! Praktisch die komplette intellektuelle Elite des Landes. Der Dramatiker Nathan Altermann, von Ben Gurion so sehr verehrt, dass er ihn nur Nathan der Weise nennt, Literaturnobelpreisträger Samuel Agnon, Mystiker Uri Zvi Greenberg, Volksdichter Haim Gouri, und so weiter.
»Tja«, sagt Jehuda.
»Tja?«, wiederholt Phoebe mit vollem Mund. »Ist dir aufgefallen, welche Rolle sie dem Staat zukommen lassen?«
Yousef hält mit Schneiden inne, rekapituliert. »Keine Regierung Israels hat das Recht –«
»– die Vollständigkeit des Landes aufzugeben«, ergänzt Fatima.
»Staat ohne Mandat.«
»Ganz genau, ihr Süßen. Der Premier wird ausgehebelt. Nicht nur Eschkol. Jeder Premier wird ausgehebelt.«
»Grenzen von Gott gewollt.«
»Unverhandelbar.«
»Dummes Zeug.« Yousefs Rechte wiegt das Messer in stetem Rhythmus, produziert ansehnliche Häufchen orangeroter Scheiben von gleichmäßiger Dicke. »Muss ich als Moslem euch daran erinnern, dass ihr Juden unentwegt mit Gott verhandelt? Abraham hat mit ihm gefeilscht, Moses hat mit ihm gefeilscht, ihr feilscht doch andauernd mit ihm. Wir dürfen das nicht.«
»Inschallah« , gähnt Phoebe und plündert eine Tüte Backpflaumen.
»Blödsinn.« Fatima stößt mit ihrem Finger Dellen ins Papier. »Das da ist ein politisches Statement.«
»Wer’s glaubt.«
»Freiheit und Gleichheit aller Bewohner? Klingt politisch.«
»Klingt nach Pathos«, sagt Yousef. »Und Pathos ist über die Wahrheit vergossener Zement.«
»Uff«, stöhnt Jehuda. »Wo hast du das denn her?«
»Schick, hm?«
»Pulitzerpreis-verdächtig.« Phoebe greift in den Möhrenhaufen. »Was gibt’s eigentlich zu essen?«
»Nichts, wenn du unsere Einkäufe weiterhin in dieser Geschwindigkeit verdrückst.«
»Korianderhühnchen mit Gemüsereis«, verkündet Jehuda.
»Lecker.«
»So oft, wie ihr arabisch esst, habt ihr jedenfalls zur Gleichstellung aller Bewohner schon erheblich beigetragen«, stellt Fatima fest.
»Stimmt.« Phoebe wirft noch eine Nuss ein. »Ihr dürft sogar mit uns am Tisch essen.«
In diesem Haushalt kann man über so was lachen.
Doch eigentlich ist es nicht lustig.
Weil die Araber, die bei Staatsgründung in Israel geblieben sind, zwar die israelische Staatsbürgerschaft erhielten, bis vergangenes Jahr jedoch unter Kriegsrecht standen: keine unerlaubte Entfernung vom Wohnort, kein ungehindertes Reisen, Untersuchungshaft ohne Angabe von Gründen, willkürlich verhängte Sperrstunden, spontane Ausweisung.
Damit ist es vorbei, was nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass Freundschaften wie die zwischen Phoebe, Jehuda, Fatima und Yousef die absolute Ausnahme sind. Die meisten Muslime leben im Ländlichen, wo sie unter sich bleiben, in den Städten bringen Juden und Araber einander immerhin nicht gegenseitig um. Koexistenz ist die
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