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dass sich die Zeiten geändert haben. Sollten Sie nicht –«
Doch er ist abgelenkt.
Ein Tumult weiter vorne, Araber, die sich mit skandierenden Israelis in die Haare kriegen. Steine fliegen, Soldaten bellen Anweisungen, präsentieren drohend ihre Waffen. Benjamin sieht Levinger losstürmen wie von der Kette gelassen, ein paar junge Leute gehen reflexartig in Verteidigungshaltung. Levinger ist nicht groß, breit oder kräftig, aber das ist ein tollwütiges Frettchen auch nicht.
Uniformierte springen hinzu.
Verhindern Schlimmeres.
Araber und Juden, erstmals seit 20 Jahren wieder in Hebron vereint. Könnte man Hass sichtbar machen, er hinge wie giftgelber Nebel in den Straßen.
Levinger schüttelt die Fäuste, wendet sich ab. Er ist noch fahler und hohlwangiger geworden, nicht gerade, was man einen Charismatiker nennt, ausgestattet mit dem Feingefühl eines Alligators, indes ebenso zupackend. Seine Brachialrhetorik kommt bei den aufgeputschten Eretz-Israel-Aktivisten dieser Tage bestens an, Sprüche wie »Land ist wichtiger als Leben« treffen den Nerv der Radikalen, die nichts in ihrem überschaubaren Universum fürchten außer Gott und zwecks Unterstreichung ihrer Entschlossenheit gern mit geladenen Pistolen in der Luft rumfuchteln. Niemand verkörpert ihren heiligen Zorn so kongenial wie der garstige Rabbi, und sein Coup vor sechs Wochen, das war schon hohe Kunst.
Erster Akt, anfüttern.
Gesucht: Familien oder Singles zur Wiederbesiedlung der Altstadt von Hebron. Für Einzelheiten kontaktieren Sie Rabbi M. Levinger.
Prompt melden sich eine Gruppe Jeschiwa-Studenten und sechs Familien, darunter Benjamin und Leah mit ihren fünf Kindern, hinzu kommen Leahs Eltern, Brüder und Schwestern, Levingers Stoßtrupp steht.
Zweiter Akt, einmogeln.
In Hebron hat der Sechstagekrieg einen ökonomischen Krater gerissen. Jordaniens Elite liebte den Ort wegen seiner guten Luft, jetzt siecht er dahin, und im einst so beliebten Al-Naher-Al-Khaled-Altstadthotel wünschen die Gespenster besserer Tage einander Gute Nacht. Da kommt die Gruppe Schweizer Touristen gerade recht mit ihrer Offerte, das Haus auf unbestimmte Zeit zu mieten, 40 Betten auf einen Schlag! Ein Umschlag gleitet über den Tresen, der Reiseleiter legt noch was drauf für die Benutzung der Hotelküche zwecks koscherer Essenszubereitung, denn –
Dritter Akt: Überraschung!
– es sind gar keine Schweizer, sondern Levingers Pilgergruppe, was den arabischen Hoteliers aber erst klar wird, als der Mietvertrag unterzeichnet ist und Levinger die Katze aus dem Sack lässt.
Nun ja.
Beim Geldzählen lässt der Schock nach.
Schließlich kommen schon seit Kriegsende wieder jüdische Pilger her, um am Grab der Patriarchen zu beten. Der Ort ist Juden wie Muslimen heilig, wär nicht das erste Mal, dass sich die Frommen an der Stätte ihrer Verehrung prügeln. Klugerweise hat Dayan mit dem Mufti unddem Bürgermeister Hebrons einen Stundenplan ausgehandelt, nach dem nun der Herr angerufen wird, außerdem schwört Levinger, man wolle hier nur Pessach feiern und dann gleich wieder verschwinden.
Pessach kommt, Pessach geht.
Levinger bleibt.
Und zwar, wie er der Presse und den entsetzten Gastgebern jetzt erklärt:
BIS DER MESSIAS EINTRIFFT !
Israels Linke und Intellektuelle laufen Sturm, die Nationalreligiösen wissen sich vor Begeisterung kaum zu lassen. Eschkol würde am liebsten die Rücklauftaste drücken, hat jede zivile Besiedlung ausdrücklich untersagt, da strömen schon Sympathisanten nach Hebron, reist der Religionsminister mit Spendierhosen an, der Arbeitsminister sendet Glückwünsche, Menachem Begin lässt ausrichten: »Seid stark!« Tief besorgt schickt der Bürgermeister Telegramme an Eschkol, El-Fatah habe Terror angedroht, wenn noch mehr jüdische Familien kämen, dies sei eine arabische Stadt. Levingers Leute stürmen seine Residenz, beschimpfen ihn, er verbietet sich ihren »hitlerschen Tonfall«, alarmiert den Militärgouverneur, der ruft in seiner Ratlosigkeit Moshe Dayan an, Dayan kommt schlichten mit der Prinzipienfestigkeit eines Wackelpuddings, womit er im Wesentlichen die Haltung seiner Regierung repräsentiert. Eschkol will es sich mit den Nationalreligiösen nicht verscherzen, sie machen sich hilfreich in Koalitionen, andererseits kann man Levingers Trupp nicht einfach gewähren lassen.
Wo die ganze Welt schon guckt.
Einen Teil der Entscheidung nimmt ihm der Hotelier ab, indem er die unliebsamen Gäste kurzerhand auf die Straße setzt.
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