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Breaking News

Breaking News

Titel: Breaking News Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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ruhig Blut.
    »Geduld, Uri. Akzeptanz und Geduld.«
    Also sitzt Uri in seinem rot-weißen Reihenhausklon und übt sich voller Ungeduld in Geduld. Ein absurdes Ein-Mann-Theater ohne Publikum. Als Jehuda ihm vorschlägt, bei einem Bewässerungsprojekt zu assistieren, ist das so offensichtlich gut gemeint, dass er sich erst recht wie der Insasse einer Geschlossenen vorkommt, den man mit Beschäftigungstherapien ruhigstellen will. Er schlägt Phoebes Einladungen zum Essen aus, ernährt sich von Dosen und Tiefkühlkost, verbringt die Nächte auf dem Stützpunkt. Je mehr er über die Mechanismen der Psyche lernt, desto mehr frustriert es ihn, keine Fortschritte zu machen. Unvermindert fluten die Bilder aus Sabra und Schatila sein Ich, und die Zermürbung seiner Person schreitet voran.
    Miriam kommt ihn auf dem Stützpunkt besuchen.
    »Na, ich dachte mir, wenn du hier glücklicher bist, komme ich eben dahin, wo du glücklich bist«, sagt sie.
    Sie sitzen im Mannschaftsheim, essen Hotdogs und trinken Coke.
    »Ich will dich mit dem Scheiß nicht belasten, Miri.«
    »Du bist mein Bruder.« Sie verteilt Senf auf ihrem Hotdog. Dicke gelbe Stränge, die Uri an Würmer erinnern. Würmer in leeren Augenhöhlen. »Soll ich so tun, als ginge es dir gut? Das würde mich belasten.«
    Er lächelt. Das wenigstens schafft er inzwischen wieder, und sei es nur, um seine Umwelt in dem Gefühl zu wiegen, es ginge ihm besser.
    »Und was macht meine Kleine?«

    Phoebe und Jehuda haben Yael zu sich genommen.
    »Och, die ist munter. Manchmal zu munter.« Miriam setzt ihr Glas an die Lippen. Was gleich neue Fantasien in ihm freisetzt. Schlüge er jetzt mit der flachen Hand gegen den Glasboden, würde es ihr die Schneidezähne rausbrechen.
    »Schön«, sagt er.
    »Sie vermisst dich.«
    Das schmerzt ihn zutiefst. Immerhin, auch Verlustschmerz kann er wieder empfinden. Eine Art dumpfen Amputationsschmerz. Langsam kehren seine Empfindungen zurück, da hatte der Hauptmann schon recht.
    Nur keine guten.
    Miriam erzählt weiter von zu Hause, drückt seine Hand.
    »Ich komm dich morgen wieder besuchen, okay?«
    »Gerne.«
    Gibt ihm einen Kuss, Uri versucht ihn zu fühlen. Die Zuwendung wird in ihre Informationen zerlegt und zerstört. Er ist ein schwarzes Loch, das sich selbst und alles, was hineingelangt, absorbiert. Nicht mehr Teil dieser Welt, entfremdet und heimatlos. Was er sieht, erscheint ihm unwirklich, grell, bunt, künstlich, krankhaft harmlos und freundlich. Tatsächlich wird die Welt beherrscht vom Chaos. Das Gute ist eine Illusion, Menschlichkeit ein Konstrukt, nichts ergibt Sinn.
    Nur eine Wirklichkeit hat Bestand.
    Sabra und Schatila.
    Wenigstens weiß er jetzt, wie er den Dämon in seinem Kopf, der die Bilder produziert, besiegen kann. In dieser Hinsicht hatte der Hauptmann nämlich unrecht. Man kann sich selbst besiegen, kann verlieren und dennoch gewinnen, dank der Armee. Sie gibt dir alles. Man bekommt Depressionen und gleich auch die Waffe, um sie abzustellen.
    Bei der nächsten Sitzung versichert er dem Hauptmann, es gehe ihm besser, erheblich besser, doch, ganz erstaunlich.
    Dann fährt er raus in den Negev.
    Denkt an seine Familie, voller Trauer und Scham, sieht die singende Frau den Kopf heben und ihn willkommen heißen.
    Wir leben, solange wir es ertragen, denkt er. Mehr ist uns nicht gegeben. Du wolltest wissen, wie es mit deinem Leben weitergeht, und hier ist die Antwort.
    Packt sein Sturmgewehr.
    »Es tut mir so leid«, flüstert er.
    Schiebt sich den Lauf in den Mund und drückt ab.

2011
Tel Aviv
    Um 19:00 Uhr fördert die Auswertung der Flughafenvideos die Identität der Frau zutage, die Hagen so beherzt aus dem VW -Transporter befreit hat.
    »Yael Kahn, 33 Jahre alt, Neurologin am Tel HaShomer.« Perlman mit Cox und Ben-Tov auf dem Weg zur Jewish Division. »Geboren im Sinai, aufgewachsen in Gaza, zum Studium der Medizin nach Tel Aviv, bis Frühjahr 2006 Assistenzärztin in der neurologischen Abteilung des Hadassah, Jerusalem.«
    Sie durcheilen das Gewirr der Korridore, vorbei an verglasten Büros voll emsig sammelnder und puzzelnder Informationsjunkies. Eigenartig, sich vorzustellen, dass Israels Sicherheit an der synaptischen Verschaltung dieser Menschen hängt.
    »Lag Scharon nicht in der Neurologie?«
    »Treffend diagnostiziert, Dr. Ben-Tov.« Perlman drückt ihnen im Gehen je einen Ausdruck in die Hand. »Kahns Lebenslauf. Nachdem wir ihren Namen eingaben, wurde unser Netz mitteilsam, plopp, fiel gleich eine ganze Akte

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