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Breaking News

Breaking News

Titel: Breaking News Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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stehen.
Westjordanland, Efrat
    Die Siedlung liegt über mehrere Hügel verteilt. Schmucke, gleichförmige Häuser staffeln sich die Hänge hinauf, als hätte eine Maschine sie produziert und aneinandergereiht. Nordamerikanischer Lebensstandard, durchwunden von gepflasterten Straßen. Geschäfte, Synagogen, großzügig angelegte Parks. Vor drei Jahrzehnten aus dem Boden gestampft und schon getränkt von Geschichte.
    König David, heißt es, habe in Efrat seine Flegeljahre verbracht.
    Sagt der andere David.
    Rabbi David Cantor, Miriams Mann.

    Hagen mag ihn sofort. Locken wie Stahlwolle, silbern durchsetzt, schief sitzende Kippa, langer Rücken, kurze Beine, sodass sich jedes Hemd, wie oft er es auch in die Hose stecken mag, unweigerlich wieder herausarbeiten muss.
    »Efrata«, erklärt er Hagen auf dem Weg zur Küche, »könnte der noch ältere Name für Bethlehem gewesen sein. Je nachdem, wie man den Tanach liest: So starb Rahel und wurde begraben auf dem Wege nach Efrata, das nun Bethlehem heißt. Genesis 35, 16   –   20. Und im Buch Micha heißt es: Du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. Der Messias also. So viel biblisches Flair, bloß, wir sind nicht Bethlehem. Wir liegen unterhalb Bethlehems. Und da gibt es nun Historiker, die sagen, dieses verheißungsvolle Efrata sei gar nicht Bethlehem gewesen, sondern eine Siedlung südlich davon, und zwar genau – hier!« Er grinst. »Die haben bei uns frei trinken.«
    »Also wird der Messias im Nachbarhaus geboren.«
    »Bei den Grünbergs?« David schickt einen skeptischen Blick nach nebenan. »Das würde meinen Glauben in den Grundfesten erschüttern.«
    »Wo ist Miriam?«, fragt Yael.
    »Oben bei Shira.« David öffnet den Kühlschrank. »Tja, Geschichte. Gott schreibt sie, die Historiker schreiben sie passend. Will jemand ein Bier? Oder lieber Rotwein?«
    Hagen schaut sich um. Kurios. Ein Haushalt wie zusammengewürfelt, kunterbuntes Chaos, kaum ein freier Flecken. Design und Modisches interessieren David und Miriam offenbar noch weniger als der Herpes von Paris Hilton. Auch wenn er in dem Tohuwabohu verrückt würde, gefällt es ihm. Schon genug Menschen leben in Katalogen.
    Eine Frau mit Kurzhaarschnitt und Smiley-Gesicht kommt die Treppe herunter, schüttelt ihm die Hand.
    »Sie sind der Reporter?«
    »Nein, er ist auch Historiker«, sagt David vergnügt und verteilt Gläser auf dem Küchentisch. »Einer der besseren. Von der Sorte, die dabei sind, wenn es passiert.«
    »Darum schreiben wir nicht zwangläufig die Wahrheit.« Hagen quält sich ein Lächeln ab.
    Nanu, was war das denn?
    Der Versuch einer Beichte?
    »Wahrheit, Unwahrheit –« David zuckt die Achseln. »Aus beidem erschaffen Sie die Wirklichkeit, nur darauf kommt’s an. Glauben Siemir. In dieser Gegend hält einen die Wirklichkeit dermaßen auf Trab, dass einem die Wahrheit völlig abhandenkommt.«
    Und Hagen denkt: Da hast du verdammt recht.
    Besser könnte man unsere augenblickliche Lage nicht analysieren.
    »Ihr seht hungrig aus«, stellt Miriam fest. »Wie wär’s mit Käsebrot? Ich kann euch auch Latkes machen.«
    Yael lässt sich auf einen der Küchenstühle fallen.
    »Irgendwas«, sagte sie.
    Oben schlägt eine Tür. Getrappel auf den Stufen. Shira stattet ihnen einen Kurzbesuch ab, die jüngere der beiden Töchter.
    Noch minderjährig. 16.
    Hagen fängt ihren Blick auf und weiß, sie treibt sich an Plätzen herum, wo man ihr das nicht unbedingt ins Gedächtnis ruft. Er sieht so was einfach. Dieser feuchte Glanz in den Augen, den nur die Erfahrung schafft. Als sie stürmisch ihre Cousine begrüßt, ist sie kurz noch mal Kind. Lädt sich den Teller voll, plappert drauflos. Muss einen Aufsatz schreiben, Biologie, Wirbellose, iiiiih. Geht arschwackelnd hoch auf ihr Zimmer, wieder im Jugend-forscht-Modus.
    Ihr Hintern sagt: An meine Wäsche lass ich dich nicht, alter Sack, aber du sollst sehen, was dir entgeht.
    Miriam blickt ihr mit liebevoller Verzweiflung hinterher.
    »Ofra lebt in einer WG in Jerusalem«, sagt sie, und das klingt auch nicht rasend begeistert.
    »Was studiert sie denn?«, heuchelt Hagen Interesse.
    »Informatik.«
    »Tolle Sache, Informatik.« Davids Augen funkeln. »Ofra hat im Computer die perfekte Spiegelung ihres Ichs gefunden. Man kann darin ein Ja erschaffen, das zu größten Teilen aus Neins besteht. Stellen Sie sich das vor!

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