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ihre jüdischen Freunde zu retten. Viele von ihnen wurden dabei schwer verletzt. Sie hätten sich einfach raushalten und zusehen können, aber sie haben geholfen.«
Und damit eine beispiellose Massenrettung zuwege gebracht. Das ist der andere Teil der Geschichte. Zu der auch gehört, dass Juden anschließend Araber durch die Straßen trieben, in Jerusalem, Haifa, Nablus, überall. Auf sie einprügelten, blind vor Wut. Unschuldige lynchten. Moscheen überfielen und Feuer an muslimische Heiligtümer legten.
Die Welle der Gewalt machte aus Opfern Täter und aus Tätern Opfer. Hinterließ Hunderte Tote und Verletzte, paritätisch verteilt. Ruinierte das Ansehen der britischen Ordnungsmacht, weil beide Seiten ihr vorwarfen, sie nicht ausreichend geschützt zu haben.
Wie denn auch, hoffnungslos unterbesetzt?
Tatsächlich haben britische Soldaten beim Versuch, Juden vor Arabern und Araber vor Juden zu schützen, ihr Leben verloren.
Hebron ist die Wunde, die nicht verheilt.
Soll er das dem Jungen erzählen, hier auf einem verbrannten Acker? Er ist klug, er ist neun, da kann man Kindern manches zumuten, dennoch wäre es zu viel für ihn, also versucht Schalom ihm klarzumachen, dass Juden und Araber durchaus Freunde sein können.
Jehuda runzelt die Brauen.
»Aber wie denn? Die hassen uns doch.« Verzieht das Gesicht. »Und ich hasse die auch!«
»Menschen wissen oft nicht, wen sie hassen«, sagt Schalom.
»Ich schon.«
»Nein. Meist hassen wir nur die Idee von etwas.«
Schwer zu erklären.
(Dann gib dir halt Mühe!)
»Schau – kurz bevor du und Benjamin geboren wurdet, sind wir in dieses Land gekommen, Mama und ich –«
»Weiß ich doch.«
»Aber wir haben euch nie so richtig erzählt, warum.«
Jehuda schüttelt den Kopf.
»Das war, weil wir vor Menschen fliehen mussten, die beschlossen hatten, uns zu hassen.«
»Mama und dich?«
»Alle Juden.«
»Warum? Was haben die Juden denen getan?«
»Nichts. Wir waren einfach nur da. Diese Leute haben beschlossen, Juden zu hassen, einfach weil sie jemanden brauchten, den sie für ihre Probleme verantwortlich machen konnten. Aber Hass ist wie Gift, Jehuda. Auch wenn es manchmal schwerfällt, man darf ihn nicht in sich hineinlassen. Verstehst du?«
»Mhm.«
»Es gibt nicht die Araber, die Juden, die Christen. Jeder Mensch ist anders. Du musst immer erst den Menschen sehen. Wenn er dir gegenübersteht. Wie ist der so? Nett? Eher nicht? Vertrauenswürdig? Könnte er dein Freund sein? Gib dir Mühe, es herauszufinden. Du darfst niemandem mit Vorurteilen begegnen, hörst du? Urteile erst über jemanden, wenn du genug über ihn weißt, um zu urteilen.«
Jehuda schaut auf seine Füße, das muss jetzt sacken. Schalom ist so weit zufrieden. Schade, dass er die Ansprache nicht gleich auch Benjamin hat zuteilwerden lassen.
Wo ist der überhaupt?
Ah, da! Steht zusammen mit Arik bei einer Gruppe von Männern, die sich lautstark unterhalten.
Schalom hört Samuel fluchen.
Er verflucht alle Araber, schreit, dies sei nicht ihr Land, Palästina gehöre den Juden, und wer denn unbedingt an einen Gott glauben wolle, JA , AUCH VOR GOTT , auch nach der Thora!
Arik lauscht mit glühenden Wangen.
Benjamin nickt.
Einen Monat nach der Tragödie von Kfar Manin hört Benjamin Stimmen gänzlich anderer Natur.
Sie feuern ihn an, halten ihn ab –
Feuern ihn an, halten ihn ab –
Innere Stimmen, Kommentatoren seiner größten Sehnsucht, die zugleich seine größte Angst ist:
Schuss fahren.
Traum und Albtraum.
Er schaut die alte Straße hinunter, seine Finger um die Sattelstange des viel zu großen Opel Blitz gekrampft, kaum fähig, das schwere Fahrrad im Gleichgewicht zu halten.
Erschaudert.
Sein Mut ist in sich zusammengesunken wie ein Kuhfladen nach drei Tagen in der Sonne, aber da muss er durch. Niemand vermag dich so sehr zu demütigen wie du selbst, und jetzt zu kneifen, wäre sozusagen Demütigung zum Quadrat.
Wird schon, sagt er sich.
Bei den anderen klappt’s ja auch.
Er bringt das Fahrrad in Position. Die Straße ist eher ein Feldweg, der von der Route nach Tel Aviv abzweigt und sich durch Respekt gebietendes Gefälle auszeichnet. Früher einmal führte er nach Kfar Saba, jetzt gibt es eine besser ausgebaute Verbindung, weshalb die alte Strecke zusehends verwildert. Was ganz hübsch aussieht. Pinien und Zypressen säumen die Ränder, dazwischen hat sich ein Landschaftsmaler in Weiß und Rosa ausgetobt: Oleanderbüsche dicht an dicht, gesprenkelt mit prallen
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