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keine Wohnungen, nicht mal eine verdammte Zwischenwand, gar nichts, nur tragende Säulen. Das ganze Dachgeschoss ist ein einziger Riesenraum, bis in den letzten Winkel erhellt von Tageslicht, das durch die zahlreichen Fenster und Löcher im Dach hereinwabert. Eine Rohbauhöhle, die jetzt widerhallt von Schüssen und den Schreien der Getroffenen. Zwei Scharfschützen liegen reglos am Boden, dann knickt einer der Rebellen ein, hält sich die Wade, jault wie ein Hund. Der Mann, der ihn erwischt hat, wechselt das Magazin und wird vom Kommandanten mit einem gezielten Kopfschuss erledigt.
Alle Achtung!, denkt Hagen, das war Profiarbeit.
Das macht er nicht zum ersten Mal.
Sieht einen weiteren Scharfschützen zu Boden gehen, die Arme wie zur Kreuzigung von sich gestreckt, alles passiert wahnsinnig schnell – und plötzlich durchfährt es ihn mit der Intensität eines Blitzschlags:
Diese Typen da wissen, wo sich Gaddafi versteckt.
»Aufhören!«, schreit er.
Niemand hält auch nur einen Atemzug lang inne.
»Aufhören! Lasst sie leben. Sie wissen Bescheid, hört ihr? Sie wissen, wo er ist!«
Einer ihrer Gegner zuckt getroffen zusammen, macht kehrt und hastet in verkrümmter Haltung davon.
Der letzte verbliebene Scharfschütze wirft seine Waffe von sich.
Geht vor den Rebellen auf die Knie.
»Das ist gut, gut!« Hagen eilt hinzu. »Ihr müsst ihn –«
Daoud zieht eine Pistole.
»Müsst –«
Schießt dem Mann zweimal in die Brust.
Der Scharfschütze fällt aufs Gesicht und rührt sich nicht mehr. Hagen starrt ihn an, als werde sich der leblose Körper wundersamerweise wieder aufrappeln und ihm das Geheimnis von Gaddafis Verbleib anvertrauen, doch der Schütze ist ohne Zweifel tot.
»Ihr Idioten«, flüstert er.
Niemand beachtet ihn. In wilder Hast haken sie ihren Verletzten unter und ziehen sich zur Treppe zurück.
Wo ist der andere hin?
Der Typ, der abgehauen ist?
Hagens Blicke suchen die leere Etage ab. Die Säulen sind zu schmal, um einen Körper dahinter zu verbergen.
Dann sieht er die Stiege.
Die Leiter am Ende des Raums, die aufs Dach führt.
Läuft hin, legt den Kopf in den Nacken. Blauer Himmel über ihm. Beginnt zu klettern. War der Kerl bewaffnet, als er floh? Er weiß es nicht mehr. Weiß nur, dass er alles daransetzen muss, den Mann lebend in die Finger zu bekommen, der möglicherweise draußen wartet, Vorsicht also.
Schiebt wie eine Schildkröte den Kopf aus der Luke.
Rascher Rundumblick.
Niemand wartet.
Zumindest niemand, der auf ihn schießt.
Stemmt sich ganz heraus.
Jetzt kann er sehen, dass er sich auf dem Dach des östlichen Flügels befindet. Leitungen schlängeln sich über Teerpappe, Wassertanks stehen in Batterien aneinandergereiht, überall liegen Baumaterialien herum. Wie es aussieht, war der Komplex noch nicht fertiggestellt. Von hier oben genießt man einen Panoramablick über die ganze Stadt, sofern von Genuss die Rede sein kann, denn eigentlich sieht man nichts als Zerstörung, Brände und Rauch.
Läuft ein Stück Richtung Westen.
»He!« Legt die Hände trichterförmig an den Mund, bemüht sein bestes Arabisch. »Komm raus. Ich will dir nichts tun. Ich kann dir helfen!«
Geht weiter, schaut sich um.
»Ich bin dein Freund!«
Großer Gott, wie kitschig. Ich bin dein Freund? Wie aus einem beschissenen Karl-May-Film.
»Hab keine Angst! Ich kann dir helfen!«
Und plötzlich hört er wieder die peitschenartigen Schüsse. Wirft sich reflexartig auf die heiße Pappe, macht sich platt wie eine Flunder, atmet den öligen Teergeruch ein. Weitere Schüsse fallen, doch offenbar gelten sie nicht ihm.
Was ist da los?
Haben sie nicht gerade Tabula rasa gemacht?
Hagen springt auf und klopft sich die Teerkrümel aus der Kleidung. Irgendwie klingt es, als würde vom Dach aus gefeuert, und auch wieder nicht. Der Typ, den er verfolgt, kann definitiv nicht so viel Munition im Alleingang raushauen, es sind mindestens zwei, die da schießen.
Es muss noch ein Nest geben.
Langsam geht er weiter, sieht sich um.
Da!
Hinter einem Wassertank schnellt eine schmächtige Gestalt hervor. Hastet zu der schmalen Barriere zwischen Ost- und Westflügel, überspringt sie, kommt unsicher auf, läuft weiter.
»He!«
Keine Reaktion.
»Jetzt warte doch! Ich will dir helfen!«
Sofern du mir steckst, wo Seiner Eminenz in diesen Sekunden der Arsch auf Grundeis geht, mein Freund. Und auch dann weiß ich immer noch nicht, was ich tatsächlich für dich tun kann. Besser gesagt, will.
Er setzt dem
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