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Breathe - Flucht nach Sequoia: Roman (German Edition)

Breathe - Flucht nach Sequoia: Roman (German Edition)

Titel: Breathe - Flucht nach Sequoia: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Crossan
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nicht einfach im Hain kennengelernt hat, als er angeblich Gefangener der Rebellen war?
    Ich wühle wieder in meinem Rucksack und ziehe eine Packung Penizillin heraus, drücke eine Tablette durch die Folie und halte sie ihr hin. »Antibiotika.« Misstrauisch beäugt sie meine Hand. »Wenn ich ihr wehtun wollte, hätte ich die Waffe genommen«, sage ich. »Jetzt steck das Messer weg… bitte.«
    Das Messer immer noch in der Hand, greift Bea mit der anderen nach der Tablette. Kurz erwäge ich, sie zu entwaffnen, halte mich jedoch zurück. Ich lasse die Tablette in ihre Hand fallen und mache wieder ein paar Schritte rückwärts. Sie hebt die Kleine sanft in Sitzposition und schiebt das Medikament zwischen ihre Lippen, bringt sie dazu, einen Schluck aus der Wasserflasche zu nehmen. Das Mädchen schafft es, die Tablette zu schlucken, bevor ihre Augen wieder zurückrollen. Gegen die Erschöpfung kommt sie nicht an.
    In unserer Ausbildung wurden wir vor Terroristen gewarnt und mein Kopf war voll mit Bildern von breitschultrigen Kerlen mit Gewehren beim Granatenwerfen. Etwas derart Klägliches wie das hier habe ich mir nie vorgestellt: ein Kind, in den Tod geleitet von einem hohlwangigen Mädchen, das mit seinem verdreckten Solar-Atemgerät selbst um jeden Atemzug ringt.
    »Ich kann die Kuppel anfunken«, sage ich. An Judes Hilfsbereitschaft hab ich so meine Zweifel, aber sie ist nur ein Kind, dem geholfen werden muss. Das ist noch das Geringste, nach allem, was ich ihrem Zuhause angetan habe. Waren ihre Eltern im Hain? Hat es sie auch erwischt?
    »Ein Versuch, hier irgendwas zu funken, und ich zersäbel dich«, sagt Bea.
    Ich halte die Hände hoch. »Schon verstanden.«
    Da explodiert sie: Sie springt auf und rammt mir ihre Hände in die Brust. »Wie kannst du das sagen? Nichts verstehst du!«
    Ich starre sie an und lehne mich nach hinten. »MeinVater ist auch bei den Aufständen ums Leben gekommen.«
    »Das ist ja wohl kein Vergleich. Meine Eltern waren gute Menschen. Dein Vater war… er war…«
    »Er war ein Arschloch«, sage ich und sie blinzelt. Ich warte ab, denn ich möchte nichts Unwahres sagen. »Aber ich wünschte, ich hätte ihn mehr geliebt.«
    Ihr steigen Tränen in die Augen. »Wenn man wen verliert, wünscht man sich immer, man hätte ihn mehr geliebt.« Sie wischt sich über die Augen und schnieft. Und dann heult sie los, das Gesicht gegen den Arm gedrückt, um die Schluchzer zu dämpfen.
    So habe ich noch nie geweint. Meine Mutter hat unendliche Tage hustend und stöhnend im Bett verbracht, bis sie eines Morgens weg war und die Geräusche durch Stille ersetzt wurden. Nur ein einziges Mal habe ich um sie geweint – ganz leise, alleine in meinem Zimmer. Warum habe ich ihr nicht die letzte Ehre erwiesen und richtig um sie getrauert?
    Ich krame noch mal in meinem Rucksack und ziehe das Funkgerät raus. Bea blickt auf. »Nein«, sagt sie, schon wieder in Angriffshaltung.
    »Du schaufelst bald ihr Grab, wenn sie nicht in ein Krankenhaus kommt.«
    »Die bringen sie um.«
    »Sterben wird sie so oder so.«
    Bea kaut sich auf ihren Lippen rum.
    Ich drehe mich um.
    »Wo gehst du hin?«, fragt sie.
    »Ich will vermeiden, dass sie aufwacht und vielleichtlosschreit, während ich spreche. Die sollen glauben, ich hätte meine Zielperson gefunden.«
    Beas Widerstand verpufft. »Sie heißt Jazz«, sagt sie.
    Das Grollen des Motors eilt dem Geländewagen meilenweit voraus. Vorsichtig löst Bea jeden von Jazz’ festgekrallten Fingern einzeln von ihren Arm. »Bald geht’s dir besser«, sagt sie, fast, als würde sie selbst dran glauben. Sie drückt ihr einen kleinen Kuss auf die Stirn und steht dann auf, um ihre Sachen einzusammeln. »Was wirst du denen erzählen?«, fragt sie mich.
    »Dass ich sie völlig verlassen und verängstigt aufgelesen habe.« Jazz nickt, um zu signalisieren, dass sie mitspielen wird. »Jetzt such dir ein Versteck und komm erst raus, wenn du den Geländewagen wegfahren hörst«, sage ich.
    Bea wendet sich an Jazz. »Du bist gar kein so blödes Balg, wie ich geglaubt habe«, stößt sie lachend hervor.
    »Tschüss«, sagt Jazz. Sie muss die Tränen zurückhalten. Bea lässt ihre ebenso wenig zu. Sie nickt noch mal und verschwindet in der Dunkelheit.
    Ich sehe ihr nach und schleppe dann Jazz zum Straßenrand, wo wir zitternd unter dem leuchtenden Sternenhimmel und der schmalen Mondsichel sitzen. Ihr verwundetes Bein wird kaum noch zu retten sein, so angeschwollen, wie es ist. Hoffentlich kann

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