Breathe - Flucht nach Sequoia: Roman (German Edition)
wenigstens sie selbst gerettet werden.
»Kannst du dir vorstellen, wie die hier draußen vor dem Switch gelebt haben? So viel Platz.« Ich rede eher mit mir selbst als mit Jazz, die kaum die Augen aufhaltenkann. Ich drücke sie fester an mich. »Da sind die Leute kreuz und quer durch die ganze Welt gereist. Keiner ist nur in seinem eigenen Land geblieben. Jetzt kommen nicht mal Ausländer irgendwohin. Wir sind doch alle gefangen. Gefangen in der Kuppel, gefangen auf dieser Rieseninsel. Ist doch überall das Gleiche.« Jazz nimmt meinen Daumen in ihre kalte Hand und schließt wieder die Augen, als sich der Geländewagen mit seinen gleißenden Scheinwerferaugen aus der Dunkelheit schält.
Ich stehe auf, Jazz in meinen Armen. Der Geländewagen bremst ab und bleibt stehen. Jude steigt aus und postiert sich vor der Kühlerhaube. Im Gegenlicht der Scheinwerfer bleibt er ein Schattenriss in der Finsternis.
»Wer ist das?«, grollt Jude. Statt Uniform trägt er eine schlabbrige Hose und einen alten Pulli wie ein ganz gewöhnlicher Durchschnittsmann. Ein Dad. »Wo ist Quinn?«
»Ich hab ihn nicht gesehen.« Für eine RATTE hätte Jude sich nie herbemüht und deshalb habe ich ihn beim Funkgespräch angelogen: ihm vorgemacht, ich hätte Quinn gefunden.
»Was zum Henker…« Er bricht ab, macht einen Schritt nach vorne und beäugt Jazz. Er wischt ihr das Haar aus dem Gesicht. »Was soll ich mit ihr anfangen?«
»Sie braucht einen Arzt.«
»So haben wir aber nicht gewettet.« Er macht auf dem Absatz kehrt.
»Ich hab schon eine Spur zu Quinn. Und ich will dein Angebot annehmen. Ich werde ein Second, wenn dasbedeutet, dass ich nicht noch mehr unschuldige Leute abschlachten muss.«
Jude fährt wieder herum. »Das waren nicht nur Unschuldslämmer«, sagt er mit Blick auf Jazz, die ihm nur knapp entwischt ist. »Und wer garantiert mir, dass du die Wahrheit sagst?«
»Ich hab das von Quinn nur erzählt, um ihr zu helfen. Und ich glaube kaum, dass ich noch mehr Rettungsbedürftige finden werde«, sage ich mit Gedanken an Bea.
Er breitet die Arme aus. »Gib sie her«, sagt er kühl und mustert ihr Bein ohne merkliche Gefühlsregung.
»Alles in Ordnung mit Niamh?«, frage ich.
»Sie ist immer noch stinksauer. Ganz die Tochter ihres Vaters, deine Schwester«, sagt er. »Du allerdings… hast nicht viel von ihm.«
»Nee, und Quinn hat auch nicht viel von dir.« Er soll sich nur nicht einbilden, dieser Anfall von Gewissensbissen und unerwarteter Fürsorge für seinen Sohn würde ihn jetzt zum Helden machen oder so. Jude starrt mich an, während Jazz sich in seinen Armen windet.
Ich trete aus dem grellen Scheinwerferlicht heraus, zurück in die Dunkelheit. »Die Ausgestoßenen hier kennen nichts. Nimm dich bloß in Acht vor denen«, sagt Jude auf dem Rückweg zum Wagen.
Vorsichtig bugsiert er Jazz auf den Rücksitz und steigt wieder hinters Lenkrad. Ein grobes Wendemanöver auf dem Geröll, und weg sind sie.
Ich kehre zum Bahnhof zurück. »Bea!«, rufe ich. Binnen Minuten steht sie wieder schlotternd vor mir. Mir wird leichter ums Herz. Ich hatte schon befürchtet, siesei fortgelaufen, denn alleine würde ich es hier draußen nicht länger aushalten.
»Glaubst du, sie kommt durch?«, fragt sie.
»Könnte sein«, sage ich.
Die oberen Knöpfe ihres Mantels und ihrer Bluse sind offen, entblößen spitze Schlüsselbeine und weiße Haut. Ich trete auf sie zu und sie streckt die Hand aus. »Danke«, sagt sie. Ich ergreife ihre Hand und schüttle sie und endlich wölbt sich ihr Mund zu einem schmalen Lächeln.
»Ich bin froh, dass du uns gefunden hast«, sagt sie.
»Das bin ich auch.«
ALINA
Auf Vanyas Befehl hin wird weitergegessen – die Wache hat alles unter Kontrolle. »Aber was, wenn es das Ministerium ist? Die haben den Hain bombardiert. Warum nicht auch das hier?«, frage ich. Ist es möglich, dass man hier drinnen vor lauter Geplapper den Lärm der Zips und Panzerketten nicht hört?
»Garantiert nichts, was Maks nicht im Griff hätte«, sagt Terry. Er löffelt etwas weißes Pulver aus einer Schale und streut es über seinen dampfenden Nachtisch, um dann die Schale zu mir rüberzuschieben, doch mein Magen streikt vor Anspannung. Gibt es denn nirgendwo Sicherheit? Ich bin völlig am Ende, ich will nicht mehr weglaufen, ich möchte in Sequoia bleiben und es mein Zuhause nennen. Ist das zu viel verlangt?
Energisch reibe ich mir übers Gesicht, um mich aus den sinnlosen Tagträumereien zu reißen, als plötzlich wieder
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