Breathe - Flucht nach Sequoia: Roman (German Edition)
er. Er sieht so aus, als habe er seit Ewigkeiten weder geschlafen noch gegessen, nicht im Entferntesten wie der Junge, den ich vor nicht allzu langer Zeit in der Impfwarteschlange kennengelernt habe. Wie kann sich alles so schnell ändern? Eigentlich unvorstellbar.
»Wo ist Bea?«
»Sie passt auf Jazz auf. Ist Silas hier? Glaubst du, er würde mitkommen? Wir werden ihn brauchen.«
Der Knoten in meinem Magen löst sich. »Ich hab gewusst, das Bea durchkommt«, sage ich.
»Aber wenn wir nicht bald bei ihr sind, ist sie geliefert. Und Jazz auch.« Er guckt aus dem Fenster, als sei Springen doch keine so schlechte Idee. Ich drücke ihn aufs Bett und lasse mir alles berichten, vom dem Augenblick an, wo er den Hain verließ, bis zu seiner Ankunft in Sequoia. Er verhaspelt sich ständig, überspringt wichtige Details und immer wieder muss ich nachhaken, ihn erklären lassen.
»Können wir jetzt gehen?«, fragt er schließlich.
»Vielleicht wird Vanya uns helfen«, sage ich.
Er kratzt sich am Kopf. »Ich hab vorhin versucht, es ihr zu erzählen, aber sie hat nur so komisch vor sich hin gelächelt. Irgendwas ist faul mit diesem Lächeln, Alina. Nach dem, was Petra mit mir abgezogen hat, will ich’s lieber nicht herausfordern.«
Ich versuche, ihn zu beruhigen. »Wir sprechen morgen noch mal mit ihr.«
»Was ist das hier überhaupt? Ich hab keinen einzigen Baum gesehen«, meint er. Vor ein paar Wochen wär ihmdas nicht mal aufgefallen. Wenn Quinn sich derart wandeln kann, besteht noch Hoffnung für uns alle.
»Ich durchschau auch nicht wirklich, was hier läuft, aber die Kuppel schneidet im Vergleich gar nicht mehr so schlecht ab«, lache ich.
Quinn starrt mich an. »Soll das ein Witz sein?«
Ich schüttle den Kopf, denn eigentlich ist es genau das Gegenteil. »Ich versprech dir, wir werden Vanya irgendeine Art von Unterstützung rausleiern«, wiederhole ich.
»Und was ist mit Bea?«
»Hat sie Luft und Wasser?«, frage ich.
»Ja«, sagt er, »aber…«
»Es geht um eine einzige Nacht«, versichere ich ihm, obwohl in einer Nacht alles passieren kann.
Ich gehe zur Tür. »Wie hast du Abel getroffen?«, frage ich, die Hand auf der Klinke.
»Purer Zufall. Kennst du ihn?«
»Ein bisschen. Ist er der Vater des Babys?«
»Laut Jo nicht. Wieso?« Eine Welle der Erleichterung überspült mich, gefolgt von Scham, an so was überhaupt einen Gedanken zu verschwenden, wo es so viele andere, größere Sorgen gibt.
Im Hauptgebäude ist es immer noch dunkel. Langsam schleiche ich den Flur hinunter und will gerade runter ins Erdgeschoß, als ein Poltern ertönt.
»Du tust mir weh!«, ruft eine Stimme. Vorsichtig lehne ich mich übers Geländer und schaue direkt von oben auf zwei Köpfe. Es sind Maks und Jo. Sie versucht, sich seinem Griff zu entwinden. »Vanya hat mir ein anderesZimmer zugeteilt. Warum kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?«
»Du hast mich lächerlich gemacht«, schnaubt er. Jo schrumpft in sich zusammen.
»Lass mich alleine schlafen, Maks, bitte«, sagt sie.
»Und wie weiß ich, dass du nicht morgen wieder über alle Berge bist? Glaubst du, ich lass dich noch ein einziges Mal aus den Augen? Du kommst mit mir!«
»Ich bin nicht dein Eigentum«, sagt sie, entreißt ihm ihren Arm und weicht vor ihm zurück. Ihr Nachthemd ist dünn, die Füße nackt.
Ohne ein weiteres Wort verpasst Maks Jo eine schallende Ohrfeige. Schwerfällig krümmt sie sich am Boden zusammen. »Aber du trägst Vanyas Eigentum in dir und das heißt, du gehörst nach Sequoia und zu mir. Glaubst du, ich weiß nicht, wieso du weggelaufen bist?« Sie blickt zu ihm auf und hat mich entdeckt, bevor ich mich ducken kann. Doch sie verrät mich nicht, streckt nur die Hände aus und lässt sich von Maks auf die Beine helfen.
»Entschuldige«, sagt sie. Sie legt Maks die freie Hand auf die Brust, geht auf die Zehenspitzen und küsst ihn auf den Mund. »Ich hab solche Angst gehabt. Geht’s voran mit den Versuchen? Sind die Babys okay?«
»Er will dich nicht, nur dass du’s weißt«, sagt er und fängt ihr Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger. »Ich oder keiner, Jo.«
Sie lässt sich von ihm am Arm fortführen, nicht ohne mir vorher einen warnenden Blick zuzuwerfen. Als ob das noch nötig wäre.
Vor der Tür finde ich keine Wache vor – nur einen leeren Stuhl und auf dem Boden daneben einen Becher. Ich stehle mich raus in die Nacht, zurück in die Hütte.
»Wo zum Teufel warst du?«, fragt Silas, als ich in voller Montur wieder
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