Breathe - Flucht nach Sequoia: Roman (German Edition)
nicht besser kennen, würde ich jetzt annehmen, er lässt mich fallen.
Vines Mundwinkel zucken. »Dass wir sie hier in deinem Atelier aufgreifen, gibt ein etwas unschönes Bild ab, lieber Oscar. Aber wenn du bereit bist, diesen Abschaum in den Tod zu schicken, wird das Ministerium vielleicht eher bereit sein, an deine Unschuld in dieser Angelegenheit zu glauben.« Er breitet die Arme aus, um den ganzen Raum einzubeziehen.
»Verhaften Sie mich, wenn Sie der Meinung sind, ich hänge da mit drin. Ich werde Ihre Fragen mit Freuden beantworten«, sagt Oscar. Seine Miene ist unergründlich.
Niamh blickt auf die Soldaten. »Gehen Sie zum Nebenhaus und verhaften Sie unsere Dienerin.« Die Soldaten schauen zum Präsidenten, der ihnen zunickt. Niamh quasselt weiter. »Und schaffen Sie mir diese RATTEN aus meinem Haus.« Ihre Stimme überschlägt sich fast vor Hysterie.
Ein Soldatin bindet mir die Hände mit Plastikkabel zusammen und verwendet ihren kalten Gewehrlauf, ummich hinter den anderen Rebellen die Stufen hinabzuführen. Ohne Vorwarnung steht auf einmal Niamh neben mir, packt mich am Arm und reißt mich herum.
»Du wirst dafür büßen, was mit meinem Vater passiert ist«, giftet sie und stößt mich die letzten Stufen hinunter, dass ich voll auf dem Gesicht lande. Auf meinen Lippen schmecke ich Blut. Ich rolle mich auf den Rücken und sehe im grellen Licht des Lüsters ihr Gesicht über mir, völlig beherrscht von ihrer tiefen Verachtung für mich.
Vor ein paar Wochen hätte mich die Berührung von Niamhs Händen noch zum Winseln gebracht. Nun jedoch stelle ich mich wieder auf die Füße und baue mich ihr gegenüber auf, Nase an Nase. Harriet will mich zurückzerren, doch ich lasse mich nicht einfach so aus dem Weg räumen, heute nicht. »Du machst mir keine Angst, Niamh«, sage ich.
»Du solltest aber verdammt noch mal Angst haben«, sagt sie.
Ich zucke die Schultern. »Wenn du mir unbedingt wehtun willst, ist das deine freie Entscheidung.«
Aber wie ich reagiere, entscheide immer noch ich. Und ich gehe vor niemandem mehr in die Knie.
OSCAR
Auf und ab, auf und ab trotte ich die kleine Gasse in Zone Drei, doch Jude ist spät dran. Bereits zum dritten Mal checke ich mein Pad. Zwischen den Wohnanlagen stiehlt sich nur ein magerer Lichtstreifen hinein. Trübsinniger geht’s kaum. Unfassbar, dass Bea ihr ganzes Leben hier verbracht hat.
»Die Senatssitzung hat länger gedauert«, höre ich Jude vom anderen Ende der Gasse. Er kommt in großen Schritten auf mich zu und reicht mir die Hand. »Sind sie dir gefolgt?«
»Zwei Soldaten. Ich hab sie in Zone Zwei abgeschüttelt. Ist Bea in Ordnung? Was ist mit Wendy?«
Ich hab die ganze Nacht vor Sorge kein Auge zugemacht, und obwohl Niamh über alles Bescheid weiß, kann ich sie nicht darauf ansprechen. Seit Bea in meinem Atelier aufgegriffen wurde, hat sie den Mund nicht mehr aufgemacht. Ich kann nur froh sein, dass sie mich nicht verpfiffen hat.
»Lance Vine hat einen Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorgeschlagen, mit anschließender öffentlicherHinrichtung von Wendy und allen aus dem Atelier. Niemand hatte Einwände.«
»Dann müssen wir sie aufhalten«, sage ich.
Jude zieht die Mütze ab und kratzt sich den Schädel. »Ich hab Familie, Oscar. Ich bin nicht hergekommen, um mit dir Rettungspläne zu schmieden, ich bin hier, um dir zu sagen: Ich bin draußen. Ich hab den Rebellen in meiner Garage Sauerstoffflaschen und Zugang zu einer Wohnung in Zone Zwei verschafft.« Kein Wort des Bedauerns.
Wie kann ein Mann, der mit dem Schutz der Kuppel und der Führung einer Armee betraut ist, einfach so das Handtuch schmeißen? Ich starre ihn an, hin- und hergerissen zwischen Zorn und Enttäuschung. »Und die Soldaten, die du ausbildest?«
»Werden morgen wegen Untauglichkeit entlassen.«
»Wie kannst du nur so ein Feigling sein?«, frage ich. Und ich dachte, er hätte sich geändert.
Aber meine Worte scheinen an ihm vorbeizugehen. Er setzt den Hut wieder auf und rückt ihn gerade. »Wenn du selbst mal Vater bist, wirst du mich vielleicht verstehen.«
»Also, ich gebe nicht auf«, sage ich.
Als er gerade auf dem Absatz kehrtmacht, kreischt Sirenengeheul durch Zone Drei bis zu uns in die Gasse. Jude schlägt gegen die Mauer. »NEIN!«, brüllt er.
»Was ist passiert?«, frage ich. Instinktiv ziehe ich meine Pistole aus dem Hosenbund und entsichere sie.
Jude zieht mich die Gasse hoch. »Grenzalarm«, sagt er. »Die Kuppel wird angegriffen.«
Jude
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