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Breed: Roman (German Edition)

Breed: Roman (German Edition)

Titel: Breed: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chase Novak
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bis diese Emotion von ihrem Nervensystem übermittelt und in tatsächliches Handeln umgewandelt wird. Zuerst muss die furchtbare Tatsache, dass ein Küken heruntergefallen ist, verarbeitet werden, dann muss das andere Küken sicher im Nest untergebracht werden, und schließlich müssen die beiden Eltern zum Boden hinunterfliegen, wo sie ein Stück von ihrem reglos daliegenden Nachwuchs entfernt landen.
    Die Eltern hüpfen hierhin und dorthin, begeben sich jedoch nicht direkt zu ihrem gefallenen Jungen. Das argwöhnische, umständliche Bewegungsmuster, das sie sich über Jahrtausende hinweg angewöhnt haben, wird durch einen solchen Unfall nicht mit einem Schlag eliminiert. Nach einer Weile kommen die beiden aber doch an dem Haufen aus Abdeckplanen an, und gerade als sie das tun, sehen sie zwei Lebenszeichen, eines beruhigend, das andere total verstörend.
    Beruhigend ist, dass die flaumige kleine Taube die Nähe ihrer Eltern spürt, sich schüttelt, sich bebend aufrichtet und anfängt, von den Planen zu klettern, die ihren Sturz aufgehalten haben.
    Verstörend ist, dass sich aus der Seite des Planenhaufens ein nackter Arm schiebt. Dieser Arm ist schlank, dunkel und zielstrebig. Flink und mit blinder Sicherheit ergreift er das Taubenküken. In höchster Besorgnis gurren dessen Eltern und schlagen mit den Flügeln, während die schweren, schmutzigen Planen sich heben, weil sich etwas unter ihnen regt.
    »O Mann«, sagt Rodolfo eher ärgerlich als erstaunt. »Das kann ja wohl nicht wahr sein.«
    Unter den Planen schieben sich zwei Teenager hervor, ein Junge und ein Mädchen, beide weitgehend unbekleidet. Der Junge ist breitschultrig, muskulös und hat ein chinesisches Schriftzeichen seitlich auf den Hals tätowiert. Er trägt dunkelgraue Boxershorts. In der einen Hand hält er das Taubenküken, in der anderen eine Flasche mit irgendwelchem Fusel. Seine Gefährtin ist schmächtig und hat eine helle, olivenfarbene Haut. Sie verhält sich so lauernd wie ein in der Falle sitzendes Tier, allerdings eines, das mehr Furcht verursacht als es verspürt. Ihr Haar ist kurz und sieht aus, als hätte sie es erst vor ein paar Tagen mit einer stumpfen Kinderschere selbst gestutzt. Sie hebt die Ecke einer Plane hoch, um damit ihre Blöße zu bedecken.
    »Scheiße, was soll das, Max?«, sagt Rodolfo zu dem Jungen. »Ich hab dir doch gesagt, du sollst nicht einfach hier reinkommen.«
    Statt einer Antwort greift Max sich in den Schritt. Er hält sich das Taubenküken vors Gesicht und bewegt die Augen, während der Kopf des Vögelchens sich hin und her dreht. Als das Tier versucht, ihm zu entkommen, schließt er seinen Griff nur fester.
    »Lass es los«, sagt Rodolfo. »Setz das verfluchte Ding sofort auf den Boden.«
    »Wieso?«
    »Weil du meinen Gästen Angst machst.«
    »Deinen Gästen?«
    »Sag mal, bist du bescheuert? Setz das Ding runter, Mann, das ist kein Gag!« Rodolfo geht auf Max zu, der – wohl um Rodolfo fernzuhalten – den Mund öffnet und so tut, als wollte er das panische Küken, dessen rosa Füße zucken wie zwei angstvolle, schuppige Herzen, verschlingen.
    »Ich bin hungrig«, sagt Max. Seine Stimme klingt stumpf und geprügelt, als hätte er Benzin geschnüffelt oder einen Schlag an den Schädel bekommen, oder als wäre er einfach nicht besonders helle.
    »Gib mir das Ding, Max«, sagt Rodolfo und streckt die Hand aus.
    »Fuck, für wen hältst du dich eigentlich?«, fragt Max.
    »Ihr solltet abhauen«, sagt das Mädchen. »Wir waren zuerst da.«
    »Sag mir bloß nicht, was ich tun soll, Emily. Das ist mein Haus.«
    Emily blickt sich um und tut so, als wäre sie höchst beeindruckt. »Wow. Hübsche Bude, Mann. Ehrlich, die ist ja so was von beschissen.«
    »Du machst dich lächerlich.«
    »Ach ja?«
    »Ja. Zieh dir was an.«
    »So zum Beispiel?« Emily lässt den Zipfel der Plane fallen, den sie gehalten hat, nimmt die Schultern zurück und spitzt die Lippen. Es ist eine scherzhaft gemeinte, aber schmerzvoll wirkende Imitation einer Verführerin früherer Zeiten. Auf ihrer Haut sind überall Blutergüsse sichtbar – auf den Oberschenkeln, den Rippen, der Innenseite ihrer Arme, dem Hals –, als wäre sie von jemandem mit tintenfleckigen Fingern hektisch begrapscht worden. Die Vernachlässigung und die Abenteuerlichkeit ihres Lebens breiten sich über ihren ganzen Körper aus wie die Symptome einer tödlichen Krankheit.
    »Ach du Schande«, sagt Rodolfo kopfschüttelnd.
    »Kümmer dich lieber um deinen eigenen

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