Breed: Roman (German Edition)
Scheißdreck«, sagt Max. »Wir wollen ’ne Familie gründen.« Er hält sich das Taubenküken näher an den Mund – jetzt ist es nur noch ein paar Zentimeter davon entfernt, verschlungen zu werden –, dann hält er plötzlich inne, runzelt die Stirn und dreht das Vögelchen hin und her.
»Wenn du es isst«, sagt Rodolfo, »reiße ich dir den Arm ab und schlage dir damit den Schädel ein.«
»Es ist tot«, sagt Max.
Inzwischen haben sich die Zwillinge an Michael gedrängt. Sie werden instinktiv zu ihm hingezogen als dem einzigen sicheren Ort in einer Welt, die in den grauenvollsten Wahnsinn gestürzt ist. Michael legt ihnen die Hände über die Augen, doch obwohl sie sich an ihn klammern, wehren sie sich gegen die Blindheit, mit der er sie beschützen will – sie haben genug von der Dunkelheit.
»Du hast es zu fest gequetscht«, sagt Emily mit weisem Nicken, während sie sich wieder halb verhüllt.
»’tschuldigung«, sagt Max zu Rodolfo. »Ich wollte es dir geben.«
Rodolfo steht jetzt direkt vor Max. Er versetzt ihm einen kräftigen Schlag an den Kopf. In dem leeren Haus entsteht ein besonders lauter Widerhall, der sich anhört, als hätte jemand mit einem Streichriemen wütend auf die Lehne eines Ledersessels eingeschlagen. Der Schlag lässt Max zurücktaumeln. Er verfängt sich in den Abdeckplanen und fällt fast hin, und als er versucht, das Gleichgewicht wiederzugewinnen, lässt er die tote Taube fallen. Sie bleibt auf dem Rücken liegen, sodass ihre urtümlichen Füßchen zu der zertrümmerten Decke zeigen.
»Tut mir leid, tut mir leid«, sagt Max und zieht den Kopf ein. Er hat eindeutig Angst, Rodolfo in die Augen zu blicken.
»Ist es tot?«, fragt Alice Michael, der nickt.
»Wieso sind die alle so?«, fragt Adam und deutet auf die drei Jugendlichen.
»Das weiß ich auch nicht«, flüstert Michael. »Es tut mir leid.«
Rodolfo hebt das tote Vögelchen auf. Etwas Totes anzufassen, verursacht ihm offenbar keinen Ekel oder irgendeine andere bestimmte Emotion. Er wirft einen Blick darauf, bevor er es Max zuwirft.
»Da, nimm«, sagt er. »Wäre schade drum.«
Max fängt das Ding auf und grinst unterwürfig. »Frisch schmeckt es am besten«, erklärt er. Und einen Moment später hat er sich das ganze Küken auch schon in den Mund gestopft. Es ist mehr, als er problemlos kauen kann. Seine Backen blähen sich auf, seine Augen weiten sich und schwellen an, und wenig später zuckt er zusammen und schüttelt den Kopf.
»Schmeckt’s nicht?«, fragt Emily lachend.
Er schüttelt nachdrücklich den Kopf, dann öffnet er den Mund, steckt seinen Zeigefinger hinein wie einen Löffel und versucht verzweifelt, das ganze Täubchen herauszuholen, obwohl es nun nur noch eine Masse aus Blut, Daunen, Federn, Knochen, Schnabel, Augen, winzigen Organen und Speichel ist.
»Und von dem willst du ein Kind bekommen?«, fragt Rodolfo Emily.
»Mach du mir doch eins, du Clown«, gibt sie zur Antwort.
Max versucht, einen Knochen auszuwürgen, der ihm in der Kehle stecken geblieben ist und sich anfühlt, als hätte er einen Dartpfeil verschluckt. Er stößt abgehackte Laute aus, ohne dass etwas anderes hochkommt als ein wenig hellgelber Schleim.
Plötzlich fliegt krachend die Haustür auf, gefolgt von stampfenden Schritten, die mit der Gewalt eines Flusses, der seinen Damm durchbrochen hat, heranstürmen. Alex Twisden hat den Weg ins Haus gefunden und zerrt einen von Rodolfos Kumpels hinter sich her – einen dicken Kerl mit weißem Haar und nackten, fleischigen Armen, die aus einer abgeschnittenen Jeansjacke ragen. Der Dicke macht einen letzten verzweifelten Versuch, sich zu befreien, indem er Twisden anrempelt und tatsächlich zu Fall bringt. Dieser lässt sich jedoch trotz des scheußlichen Geräuschs, mit dem er bäuchlings auf dem Boden aufgeschlagen ist, nicht beirren. Mit einer Gewandtheit, die halb anmutig und halb furchterregend wirkt, katapultiert er sich hoch und wirbelt zu dem Jungen herum, der ihn überrumpelt hat. Seine Bewegungen sind so rasch und effizient, dass sie frei von Wut und jeder anderen Emotion zu sein scheinen, als er den Jungen an der Jacke packt wie ein Kätzchen und hochhebt. Er schüttelt sein Opfer – das inzwischen brüllt, faucht und wild mit den Armen fuchtelt – einige Male, bevor er es gegen den Türrahmen wirft. Im selben Moment kommt der Rest von Rodolfos Bande hereingerannt. Zwei der Jugendlichen bluten aus Wunden, die ihnen Twisden offenbar zugefügt hat, um ins Haus zu
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