Breed: Roman (German Edition)
umzublicken, laufen die drei durch die Tür. Drinnen angelangt, verlangsamen sie ihre Schritte, um keine unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, gehen aber dennoch rasch zum Kartenschalter. Michael hat nur ein paar Dollar in der Tasche, und der Eintrittspreis ist zwar happig, wird jedoch auf freiwilliger Basis erhoben. »Drei, bitte«, sagt Michael und legt der Frau am Schalter einen Dollarschein auf die Theke. Gelassen schiebt sie ihm drei Anstecker hin, die Zugang zum Museum und seinen milliardenschweren Schätzen gewähren.
Und da kommt Alex, der in der großen Halle so auffällig und unpassend wirkt wie ein wildes Tier. Er stürmt herein und blickt sich mit gebleckten Zähnen nach allen Seiten um. Sein linkes Auge ist feuerrot. Während Michael und die Zwillinge trotz ihrer gewaltigen Angst darauf achten, dem Museumspersonal und den anderen Besuchern nicht weiter aufzufallen, ist dies Alex nicht mehr wichtig. Nachdem er sich mehrere Male rasch im Kreis gedreht hat, ohne seine Kinder unter den durch die Halle schlendernden Besuchern auszumachen, beginnt er zu rufen: »Adam! Alice!«
»O Gott«, murmelt Alice, als sie hört, wie ihr Name gebellt wird. Die zweite Silbe hallt so laut durch den Raum, dass manche Leute stehenbleiben.
Eine Lehrerin und einige Eltern, die zur Begleitung mitgekommen sind, führen eine Schar von Sechstklässlern aus einer katholischen Schule durchs Museum. Die Jungen tragen kastanienbraune Blazer und weiße Hemden, die Mädchen kastanienbraune Röcke und Kniestrümpfe. Michael und die Zwillinge verwenden die Gruppe als beweglichen Schutzschirm, während sie auf die Haupttreppe zugehen.
Sein Gebrüll hat Alex von seinen Hemmungen und seinem Bedürfnis befreit, so auszusehen wie ein ganz gewöhnlicher Museumsbesucher. Dennoch ist seine kraftvolle, durchdringende Stimme voller Qual. »Alice! Adam!« Da er die Namen derart verbissen wiederholt, weiß niemand, was er wirklich meint.
Adam?
Das könnte ein arabisches Wort sein, und so klingt es tatsächlich, nachdem es sich in dem akustischen Chaos der Halle ausgebreitet hat. Die Leute starren Alex unverhohlen an. Seit New York in das Zeitalter des Terrors eingetreten ist, wirkt plötzlich entstandener Lärm noch beunruhigender als früher, und wenn ein Mensch sich merkwürdig oder gar besessen verhält, ist man ausgesprochen alarmiert.
Bei manchen lösen die klagenden Schreie zwar Mitgefühl aus, doch das ändert nichts an der Tatsache, dass Alex eine erschreckende Störung verursacht. Egal, welche guten Gründe er für sein Verhalten auch haben mag, er sollte nicht am Fuße einer der größten Kunst-und Antiquitätensammlungen der Welt stehen und ein derartiges Getöse machen, weshalb alle ein Gefühl der Erleichterung verspüren, als schließlich von überallher Wachmänner auf ihn zueilen.
Unter dem Schutz der katholischen Schulklasse haben die Zwillinge und Michael das Obergeschoss erreicht, können Alex’ Rufe unten jedoch immer noch gut hören. Es ist so furchterregend wie das Gebrüll eines Löwen. Alice hält sich mit den Händen die Ohren zu; Adam hat die Zähne zusammengepresst, und seine Augen sind ausdruckslos, fast tot.
»Weiter, weiter«, sagt Michael und tippt Adam auf die Schulter. Alice ist ein Stück zurückgeblieben, und er streckt die Hand nach hinten aus, die sie ergreift. Als er sich nach ihr umdreht, sieht er, dass ihr Gesicht tränenüberströmt ist.
»Sir? Sir? Ich muss Sie bitten, sich zu beruhigen.«
Diese Bitte kommt von einem der zwölf Wachleute, die aus allen Richtungen auf Alex zugelaufen sind. Sie scheint allerdings ein wenig
mehr
zu sein als eine bloße Bitte, da sie geäußert wird, während der Sprecher – ein großer, stämmiger Mann mit rasiertem Schädel und dunklen Nasenlöchern – einen achtzig Zentimeter langen Teleskopschlagstock hervorzieht.
Als die Menschenmenge auf der großen Treppe das erste Obergeschoss des Museums erreicht, gehen manche geradeaus, manche wenden sich nach rechts und andere nach links. Sie sind auf dem Weg in unterschiedliche künstlerische und historische Richtungen – zu Schwertern und Pokalen, zu holländischen Gemälden, zu Schwarz-Weiß-Fotografien aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert, zu Kronen und Zeptern aus von der Geschichte abgewickelten Königreichen oder zu von verschiedenen vorzeitlichen Völkern geschaffenen Gegenständen – Körben, Hängematten, Gefäßen und Messern, die irgendein Forschungsreisender für so bedeutsam gehalten
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