Breed: Roman (German Edition)
ihre Drohungen entweder nicht geglaubt oder einfach nicht gehört werden, spielen sie ihren vermeintlichen Trumpf aus. »Wenn ihr euch nicht beruhigt, verlassen wir dieses Museum und gehen sofort wieder zur Schule zurück«, verkündet die Lehrerin mit gehobener, scharfer Stimme.
Gerade da kommt jedoch eine der Begleiterinnen, eine hübsche, junge, wie für eine Verabredung gekleidete Mutter in ihren gewagten High Heels in den Raum zurückgeklappert. Sie war unten, um einen Plan des Museums zu besorgen, und hat dabei Alex’ dramatischen Appell an die Wachleute gehört. »Da unten ist ein älterer Mann«, sagt sie, »und der sagt, hier oben ist irgendein perverser Typ, der seine Kinder gekidnappt hat. Die Wachleute sind ausgeschwärmt.«
»Wir gehen weiter«, sagt die Lehrerin. Vorläufig sind die Schüler ruhig und gefügig, sie folgen ihr aus dem ersten Saal der Luziferausstellung. Damit sind Michael, Alice und Adam plötzlich ihres menschlichen Schutzschilds beraubt. Sie stehen vor einem riesigen, in Braun-, Grau-und Gelbtönen ausgeführten Gemälde des Todes, der auf einem Pferd sitzt. Inmitten einer von Menschenschädeln übersäten Landschaft trottet der Teufel auf seinem merkwürdig schüchtern aussehenden Ross neben ihnen. Und in der relativen Ruhe, die sich nach dem Verschwinden der Schulklasse ausbreitet, hören die drei laute Schritte auf der großen Treppe. Es klingt, als würde eine ganze Armee heraufmarschieren.
Alex Twisden hat die Jury der Wachleute auf seine Seite gezogen, und nun sind diese unterwegs, um den schrecklichen Mann zu ergreifen, der Twisdens Kinder in der Gewalt hat.
Sobald sie die Wachleute heraufstürmen hören, laufen die Zwillinge los, dicht gefolgt von Michael, der über ihre Anmut und Geschwindigkeit staunt. Sie haben keine Ahnung, wo sie hinwollen – ihr einziger Plan besteht darin, zu
rennen
. Sie rennen an einigen älteren Frauen vorbei, von denen eine im Rollstuhl sitzt, an einer Kunststudentin, die ihre Staffelei aufgestellt hat, um ein Triptychon von Hieronymus Bosch zu kopieren, durch den nächsten und den übernächsten Saal, in dem die Darstellung Luzifers in der Kunst ihren Fortgang nimmt. Die Hälfte der Besucher trägt Kopfhörer, aus denen die wohlklingende Stimme einer Kunsthistorikerin dringt, die Symbolik und historischen Hintergrund der Werke erläutert. Wer solchermaßen beschäftigt ist, scheint überhaupt nicht wahrzunehmen, dass zwei Kinder und ein Mann durch die Räume rennen, und diejenigen, die etwas bemerken, können es sich nicht erklären. Aufgrund ihrer schieren Verwirrung (und des Bedürfnisses, ungefährdet und unbeteiligt zu bleiben), stehen sie praktisch reglos da, während Michael und die Zwillinge um ihr Leben rennen.
Könige und Königinnen, Soldaten und verängstigte Hasen, reiche Kaufleute, Bauern und Allegorien der Erlösung, allesamt in kunstvollen Rahmen, wischen vorüber, während ein Raum in den nächsten übergeht. Michael und die Kinder, die sich an ihn als ihre einzige Hoffnung klammern, suchen nach einem Weg aus dem Museum. Ab und zu sehen sie ein Schild, das zum Ausgang weist, doch wenn sie darauf zulaufen, geraten sie nur in den nächsten Saal. Sie sind in einem Labyrinth kostbarer Kunst verloren.
»Da drüben«, sagt Michael so atemlos, dass er die Worte kaum herausbringt. Er deutet auf ein kleines Schild, auf dem ein Strichmännchen eine angedeutete Treppe hinuntergeht. Sie befinden sich gerade in einem anscheinend wenig besuchten, schwach erleuchteten Korridor, der Vitrinen mit ägyptischen Artefakten beherbergt. Als sie zur Treppe kommen, ist diese von mehreren gelben Seilen abgesperrt. Auf einem Schild steht ACHTUNG ! KEIN ZUTRITT !
»Wir müssen uns trennen«, sagt Michael.
»Nein, nein«, sagt Adam und tritt rasch neben seinen Lehrer.
»Lassen Sie uns nicht allein«, sagt Alice. Ihre Augen glitzern wie zermahlener Quarz. »Bitte.«
Michael legt die Arme um beide Kinder und zieht diese nah zu sich heran. Er hat nicht gewusst, wie heftig und chaotisch Liebe sein kann und dass sie sich im Innern drehen kann wie ein feuriges Rad. Er wird alles tun, um diese beiden zu beschützen, auch wenn er sich immer noch tastend auf eine Vorstellung dessen zubewegt, wovor er sie beschützt.
»Wir schaffen es«, sagt er und küsst Adam auf den Scheitel. Die Kopfhaut des Jungen ist schweißnass. Michael zieht Alice noch enger an sich. »Okay?«, flüstert er ihr zu. »Okay?«
»Danke«, stößt sie hervor.
»Die suchen nach
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