Breed: Roman (German Edition)
angebracht ist.
Schau mal, was ich gefunden habe!
Was ist es denn?
Koste doch mal.
Nein, das tue ich nicht. Außer, du sagst mir, was es ist.
Ach, du großer, starker Mann!
Gelächter. Viel, viel Gelächter.
Komm schon, du großer, pelziger, irrer Typ, koste es.
Wenn das Katze ist, bringe ich dich um.
Es ist keine Katze.
Es sieht aber nach Katze aus.
Schnuppernde Geräusche.
Was ist es?
Ich hab dir doch gesagt, es ist keine Katze.
Eigentlich schmeckt es ganz gut.
Ach nee!
Und dann – o nein, nicht schon wieder – das Geräusch von Essen, Kauen, Zerfetzen, Schlucken, Husten, Hacken, Knurren, von gierigem, verrücktem, irrem, irrem Fressen.
Leiser stellen. Nein, Adam kann sie immer noch hören. Ausschalten. Empfänger unters Bett. Heute ist ihm in den Sinn gekommen, wenn sein Vater oder seine Mutter hereinkämen und das Babyphon fänden, während er schliefe, würden sie ihn womöglich umbringen. In echt.
»Bekommen wir eigentlich einen neuen Hund?«, fragt Alice ihre Mutter am nächsten Morgen, während sie darauf warten, dass Adam zum Frühstück herunterkommt.
»Ich glaube schon, Schatz«, sagt Leslie.
»Es ist so traurig«, sagt Alice. »Ich will überhaupt keine Tiere mehr.« Sie hat ihr Notizbuch vor sich aufgestellt und zeichnet darin mit einem Bleistift Härte HB .
Die Waffeln springen aus dem Toaster. Leslie legt sie auf einen Teller und bringt sie Alice.
»Kleines, ich weiß, wie schlimm es ist, ein Tier zu verlieren. Aber die meisten dieser armen Dinger kommen aus dem Tierheim. Dort hätte man sie sowieso bald eingeschläfert.«
»Ginger nicht.«
»Ginger kam aus einer dieser schrecklichen Tierhandlungen, die meiner Meinung nach verboten werden sollten.«
»Dann sollten wir vielleicht einfach eine Weile keine Tiere mehr haben«, sagt Alice. Sie ist lang und schlank wie ihr Bruder, aber ohne dessen beunruhigende Zartheit. Sie ist robuster, emotionaler, aber auch selbstsicherer. Auch sie hat keine Freunde, lässt jedoch keine äußeren Anzeichen von Einsamkeit oder gar Schüchternheit erkennen. Sie lebt in ihrer eigenen Welt. Ihr dichtes Haar hat sie zu Zöpfen geflochten, und sie genießt es zu rennen, zu springen und zu klettern. Wenn ihre Eltern mit ihr in den Park gehen, damit sie sich ein wenig austoben kann, macht es die beiden so stolz, Alice’ Schnelligkeit, Anmut und Geschicklichkeit zu sehen, auch wenn immer ein Zeitpunkt kommt, in dem ihre Tochter kurz außer Sicht gerät, und dann fragen sie sich ein paar schreckliche Momente lang, ob Alice je zurückkehren wird oder ob sie vielleicht alles herausbekommen und beschlossen hat, die Flucht zu ergreifen.
»Was zeichnest du denn da, Schatz?«, fragt Leslie.
Sie tritt hinter Alice und wirft über deren Schulter einen Blick auf das Notizbuch. Alice hat ein erstaunlich lebensechtes Porträt von Gray Guy geschaffen, einem Kater, der vor einigen Wochen im Besitz der Familie war. Mit zur Seite geneigtem Kopf sitzt er da und hat den schlanken Schwanz um seine Knöchel geschlungen. Er hat viele lange Schnurrhaare, und seine Augen sind gleichermaßen geheimnisvoll und leer.
Alice hat zwar das Gefühl, dass ihr Kunstwerk privater Natur ist, doch dem Wunsch nach Anerkennung durch ihre Mutter kann sie nicht widerstehen. Hoffnungsvoll blickt sie zu Leslie hoch.
»Mensch, ist das geil!«, sagt Leslie, obwohl sie sich schon oft geschworen hat, ihre Ausdrucksweise zu mäßigen, wenn die Kinder in der Nähe sind. »Kann ich es haben?«
»Klar«, sagt Alice achselzuckend. Sie reißt es aus dem Spiralnotizbuch, und Leslie befestigt es mit einem Magneten in Hamburgerform am Kühlschrank.
Im selben Augenblick kommt Adam herein. Er macht eine finstere Miene.
»Wann hört das auf, dass wir nachts im Zimmer eingesperrt werden?«, fragt er mit einer ungewohnten Schärfe in der Stimme. Normalerweise ist er so ein braver Junge …
Wenn Wände reden könnten. Seit geraumer Zeit wird das alte Haus der Twisdens nun schon vernachlässigt und verfällt, doch inzwischen hat sich dieser Prozess erheblich beschleunigt. Undichte Leitungen, Risse, verzogene Fensterrahmen und allerhand mechanische Störungen werden nicht repariert. Die Möbel sind aufgeplatzt, befleckt, angeknackst – und viel von dem, was überlebt hat, ist versteigert worden. Ebenso ist es den einst so hoch geschätzten Gemälden der verschiedenen Vorfahren ergangen, der Minister, Kapitäne, Industriellen, Chirurgen und der aufgeblasenen Mitglieder des New Yorker
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