Breed: Roman (German Edition)
Gesellschaftslebens. Sie sind nacheinander verschwunden und hängen nun wahrscheinlich in den Fluren und Wohnzimmern von Emporkömmlingen, von Leuten mit genügend finanziellen Mitteln, um die künstlerischen Dokumente einer fremden Familiengeschichte zu ersteigern, während ihr eigener Hintergrund entweder unansehnlich oder inexistent ist. Das Personal, das früher dafür gesorgt hat, das Haus so gut in Schuss zu halten, ist ebenfalls nacheinander verschwunden, bis die Beschäftigung der letzten Hausangestellten, einer Putzfrau, von zwei Tagen pro Monat auf null Tage pro Monat reduziert wurde. Daraufhin ist das Haus auf seinem Weg zum vollständigen Chaos mehrere Ebenen weit abgestürzt wie eine Aufzugkabine, die gefährlich schräg an einem ausgefransten Seil hängt.
Während das Haus langsam in einem ruinösen Zustand versinkt, behalten Alex und Leslie ihre Kinder sorgsam im Auge. Da Alex inzwischen kaum noch in seiner Kanzlei auftaucht und Leslie schon mehrere Jahre nicht mehr im Verlag arbeitet, haben sie beide Zeit, sehr viel Zeit, sich der Erziehung von Adam und Alice zu widmen. Normalerweise bringt einer der beiden die Zwillinge jeden Morgen zu Fuß zur Schule, die zwölf Querstraßen nördlich des Hauses liegt, und der andere nimmt dort am Nachmittag die Kinder wieder in Empfang. Alex wie Leslie warten lieber so weit wie möglich vom Schulgebäude entfernt, aber so, dass sie trotzdem im Blick der Zwillinge sind, wenn diese aus der burgähnlichen Tür der ebenso renommierten wie kostspieligen Privatschule treten. Sie wollen keinen Kontakt mit anderen Eltern und mit den Nannys, die ebenfalls da sind, um ihre Schützlinge abzuholen, sie wollen in kein müßiges Schwätzchen verwickelt werden, wollen keinen Klatsch und Tratsch über die Nachbarschaft, den Bürgermeister, die globale Erwärmung, irgendein tolles neues Restaurant, die Cy-Twombly-Retrospektive im Metropolitan Museum oder die neuesten Querelen im Lincoln Center austauschen. Vor allem aber wollen sie nicht in einen Strom der Geselligkeit geraten, der sie plötzlich zur Küste dessen bringen könnte, was für sie das Land des Worst-Case-Szenarios ist – eine Einladung zu einem Spielnachmittag, einem Geburtstag oder einem geselligen Abendessen. Derartige Einladungen fürchten sie sogar so sehr, wie ein Krimineller eine Zwangsvorladung und eine Hausdurchsuchung fürchtet.
Das Ganze läuft so: Die Zwillinge kommen Punkt drei Uhr nachmittags aus der Schule, fast so eng aneinandergedrängt, wie sie es im Mutterbauch waren. Ihre Blicke sind zu Boden gerichtet, ihr Gang ist mühsam, als wären Schüchternheit und der Wunsch, nicht bemerkt zu werden, wie ein Rucksack an ihren Rücken geschnallt. Gleichzeitig blicken sie auf, um sich zu vergewissern, dass ihre Mutter oder ihr Vater sie erwarten, halb verborgen hinter einem parkenden Auto oder dem Schatten einer Platane. Sie überqueren die Straße und gehen gemeinsam rasch in Richtung ihres Hauses, wobei sie nur vor roten Ampeln und vorüberfahrenden Autos stehenbleiben. Obwohl die Zwillinge sportlich sind, müssen sie sich anstrengen, um ihrer Mutter zu folgen, deren Schritte lang und anmutig sind. Sie scheint immer ein Stück weit vor ihnen zu sein, und ihr Blick schweift unablässig umher; scharf und jäh wie ein Fingerschnippen richtet er sich auf Hunde, die an der Leine geführt werden, und auf von Ast zu Ast springende Eichhörnchen. Wenn Adam und Alice jedoch mit ihrem Vater unterwegs sind, strengen sie sich vergeblich an, mit ihm Schritt zu halten. Sie müssen ihn daran erinnern, dass sie nur halb so groß sind wie er, und darauf hoffen, dass er langsamer geht, damit sie ihn einholen können. Dann sieht er überrascht drein, und einen Augenblick hat es den Anschein, als würde er zornig werden, aber dann geht dieser Augenblick vorüber, und er nimmt sie auf die Arme, beide gleichzeitig, und trägt sie, als würden sie nichts wiegen, überhaupt nichts. Seine Kraft ist erstaunlich …
Sobald sie zu Hause sind, ist ihr Programm so unveränderlich wie die Aufziehmelodie einer Spieldose. Sie bekommen beide ein Glas fettarme Milch und einen Proteinriegel. Sie dürfen eine halbe Stunde fernsehen. Sie dürfen eine halbe Stunde Videospiele spielen. Sie räumen sich auf dem Esstisch selbst einen Platz frei, um sich dort mindestens zwei Stunden ihren Hausaufgaben zu widmen. Sie spielen mit ihrem Vater, der gern mit ihnen rauft, was fast immer viel Spaß macht, aber ab und zu außer Kontrolle gerät,
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