Breed: Roman (German Edition)
sodass einer der Zwillinge geschlagen oder gekratzt wird und sich die Tränen verkneifen muss. Um halb sieben sieht die ganze Familie die Fernsehnachrichten, und um sieben gibt es Abendessen. In letzter Zeit folgen diese Mahlzeiten immer genau demselben Muster – Pasta-Rädchen in einer Soße aus Butter und Salz für die Kinder, Roastbeef für die Eltern.
Wenn sie zum Essen gerufen werden, wollen die Zwillinge nicht taktlos sein oder es riskieren, die Gefühle ihrer Eltern zu verletzen, doch in Wahrheit ist die Aussicht, am Tisch zu sitzen und zu sehen, wie die Erwachsenen so rohes Rindfleisch verzehren, dass es eher blau als rot ist und in einer Flüssigkeit schwimmt, die Alex und Leslie als Soße bezeichnen, während Adam und Alice darin Blut erkennen, eigentlich schlimmer, als ohne Essen ins Bett geschickt zu werden. Dennoch überstehen sie die Mahlzeit jedes Mal. Sie bekommen Nachtisch vorgesetzt. Ihre Hausaufgaben werden überprüft. Über das Haus legt sich Stille; das Ticken der Standuhr ist so laut wie Nägel, die in den Deckel eines Sargs gehämmert werden.
Es ist November, und die Dunkelheit bricht rasch herein, als wäre die Nacht ein geschwätziger alter Mann, der nicht warten kann, seine schreckliche Geschichte zu erzählen, und mit der Dunkelheit ist es Zeit für Adam und Alice, ins Bett zu gehen oder wenigstens in ihr Exil.
Adam liegt in der Dunkelheit seines Zimmers und hat sich den Empfänger des Babyphons auf den Bauch gelegt. Das Gerät hebt und senkt sich mit seinem Atem.
Nichts wird übertragen. Er hört lediglich das Rauschen der Elektrizität wie Wind, der durchs Schlafzimmer seiner Eltern weht.
Dann hört er deren Schritte. Zuerst erschrickt er, weil er meint, sie kämen in sein Zimmer. Er schiebt den Empfänger unter seine Decke. Dann jedoch erkennt er, dass er gehört hat, wie die Schritte seiner Eltern sich ihrem eigenen Zimmer genähert haben, und er entwirrt die verdrehten Kabel des Geräts und legt es sich wieder auf den Bauch.
Ich spüre, dass etwas in mir geschieht, Alex.
Ich würde dir da drin auch gern was zu spüren geben.
Hör auf, ich meine es ernst.
Du riechst so gut.
Man hört Geraufe.
Na gut, na gut, was ist denn los?
Ich mache mir Gedanken, Alex.
Gedanken sind in Ordnung. Gedanken sind gut. Gedanken sind das, was uns menschlich macht, nicht wahr?
Schlimme Gedanken, Alex.
Was ist denn da passiert?
Hab mich beim Rasieren geschnitten. Alex?
Was?
Willst du nicht wissen, was ich schlimmes gedenke?
Denke.
Genau. Willst du nicht wissen, was ich schlimmes denke?
Ich glaube, das weiß ich schon, Leslie. Wir müssen nicht darüber sprechen.
Es geht um die Kinder.
Schhh.
Um unsere Kinder, Alex. Unsere Kinder.
Weinen.
Ich weiß, Liebes. Ich weiß. Schhh. Ist schon okay.
Weinen. Dann:
Hast du auch solche Gedanken?
Ein langes Schweigen. Endlich antwortet der Vater leise.
Ja.
Ich kann nicht einschlafen.
Leslie. Bitte. Ich bin erschöpft.
Ich rieche Rauch.
Der kommt nicht von hier.
Es riecht ihn aber!
Wer riecht ihn, Leslie? Wer?
Ich!
Dann sag: »Ich rieche Rauch.«
Ich rieche Rauch. Du pedantisches Arschloch.
Mir kommt gerade in den Sinn, es wäre netter, wenn wir uns unterhalten würden, als wären wir … du weißt schon. Irgendwas. Etwas Anständiges.
Ich rieche Rauch, Alex.
Der kommt von nebenan. Der offene Kamin von denen. Der Rauch von ihrem Kamin wabert zu unserem Fenster.
Wabert?
Weht.
Was ist, wenn es brennt, Alex? In unserem …
Haus?
Ja, was ist, wenn es in unserem Haus brennt?
Kratz mich nicht so.
’tschuldigung. Ich dachte, du magst es. Aber was, wenn?
Es wird nicht brennen. Aber wenn es doch brennt, Leslie, dann rufen wir die Feuerwehr und verlassen das Haus. Genau wie jedermann.
Aber was ist dann mit unseren Kindern?
Was soll mit denen sein?
Die sind doch eingesperrt.
Ja. Ich weiß. Das muss sein.
Aber die sitzen dann in der Falle.
Gleich neben ihren Fenstern ist eine Feuerleiter.
Mit Gittern, Alex. Wir haben Gitter an den Fenstern anbringen lassen, und diese Gitter sind verschlossen.
Und ich hab den Schlüssel. Wir gehen rauf und schließen die Gitter auf.
Aber ich hab keinen Schlüssel.
Du solltest auch keinen haben, Les.
Und wieso?
Weil ich mehr Selbstbeherrschung habe. Tut mir leid, das ist einfach eine Tatsache.
Tja, aber ich weiß, wo der Schlüssel ist. Der ist in dem Bonbonschälchen da drüben. Na bitte. Arschloch.
Nett.
Ach, das hab ich ganz vergessen. Du bist so ein zartes Seelchen. Euer
Weitere Kostenlose Bücher