Breit - Mein Leben als Kiffer
fallen und denke
darüber nach, was mich ausmacht und mich
bewegt. Viel mehr als die Überlegung, dass
meine Jugend trotz Weltschmerz, nerviger
Eltern und falscher Freunde viel wert ist,
kommt allerdings nicht dabei heraus. Punkt.
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Ansonsten stockt es in mir. Ich will zwar
unbedingt meine psychologischen Geheimnisse
entdecken, weiß aber nicht wirklich, wie und wo
ich anfangen soll. Das liegt daran, dass ich in
Wahrheit viel zu unzufrieden mit mir bin, um
den Mut aufzubringen, mich selbst zu
analysieren. Da ist irgendeine Sperre in
meinem Kopf, die verhindert, dass ich mich
beim Schopf packen kann. Ich merke, wie ich
selbst mich immer wieder meiner tieferen
Betrachtung entziehe, wie ein Virus, das
resistent ist.
Als ich das letzte Mal bei meinem Vater war
und von einem Spaziergang zurückkam, hat er
mich gefragt, was ich gemacht habe. Auf meine
Antwort, ich habe nachgedacht, hat er nur
gelacht, als wäre man in meinem Alter noch gar
nicht in der Lage nachzudenken.
Meine Selbstanalyse beginnt mich schnell zu
langweilen. Ich greife zu Illuminatus , lege es aber bald wieder beiseite, das Buch wird mir
langsam echt zu wirr. Merkwürdiges Teil.
Wieder klingelt das Telefon.
«He Monsen, Markus hier. Die Aktion bei
Petra war echt langweilig. Wir hätten derbe
Bock, nochmal zu kiffen. Können wir zu dir
kommen?»
«Markus, ich muss dich zu dieser Idee
beglückwünschen, genau daran habe ich auch
gerade gedacht», sage ich voller Enthusiasmus.
«Lasst aber bloß Dirk zu Hause, den Spacken!»
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«Okay, wird gemacht, bis gleich!»
Nach einer Viertelstunde stehen Markus, Jan
und Florian vor der Haustür. Wieder setzen wir
uns zu viert auf das Sofa und sehen zu, wie
Florian den Joint dreht. Mir geht’s bestens: Ich
bin Dirk los, und gleich gibt’s was zu kiffen. Wir
bestellen uns Pizza, und bei einem zweiten
Lieferservice bestelle ich eine Anchovis-Salami-
Tsatsiki-Pizza für Dirk. Der wird schon sehen,
was er von seinem Verhalten hat.
«Okay, Jungs, das ist ’ne andere Sorte als
letztes Mal. Macht gut breit und gleichzeitig
wird man müder davon, also genau das
Richtige, wenn wir nachher den Ghettofilm
Menace II Society gucken.»
Markus nimmt einen Extrazug. Er denkt, wir
würden das nicht mitbekommen, weil wir
gerade zu dritt die Rückseite der Videokassette
studieren. «This is the truth, this is what’s real»
steht dort.
Derjenige, der gerade dran ist und seine drei
Züge nehmen darf, ist immer voll auf sich und
den Joint konzentriert und kümmert sich nicht
darum, was die anderen machen. Der Joint wird
angeschaut, man nimmt einen tiefen Zug, es
wird vorsichtig abgeascht, und man lehnt sich
entspannt zurück. Wir machen schließlich
gerade unsere ersten Erfahrungen mit dem
heiligen Gral und gehen noch behutsam und
ehrwürdig damit um. Er ist unsere Eintrittskarte
in eine andere Welt mit besonderen Ritualen
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und ganz eigenen Regeln, die wir erforschen
wollen.
Florian hat im Moment die absolute Macht,
denn ist er der Einzige, der bauen kann. Wir
anderen üben zwar fleißig, aber gegen Florians
Präzisionskeulen kommen unsere Tabakjoints
nicht an. Noch nicht, schließlich wollen wir
unbedingt auch Bauer sein, denn wie gesagt:
Bauer ist Hauer, und der Hauer kann eine
Türkenrunde ausrufen. Dann darf jeder nur ein
Mal ziehen, muss aber, bis er den Joint wieder
bekommt, den Rauch in der Lunge behalten.
Sonst setzt er eine Runde aus.
Wir alle sind, genau wie letztes Mal, total
aufgedreht und hibbelig. Es ist ein Gefühl wie
früher, kurz vor Weihnachten, wenn man
wusste, dass man endlich die tollen Geschenke
bekommt, die man sich schon lange gewünscht
hatte. Nur, dass wir Weihnachten jetzt öfter im
Jahr feiern können. Und dass wir uns statt über
das Spielzeug über den Rausch freuen.
Der Joint kommt zu mir. Mir fällt wieder ein,
wie ich beim letzten Mal meiner Phantasie
freien Lauf gelassen habe und so ungewöhnlich
zufrieden mit den Farben in meinem Kopf
gewesen bin, weit weg von dieser rohen Welt.
Und so nehme ich voller Vorfreude einen langen
Zug. Florian sagt, im Vergleich zu richtigen
Kiffern rauchen wir nur Minimengen an Gras
und Maximengen an Tabak, doch das ist auch
gut so. Wir sind nicht enttäuscht von unserem
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Gefühl, es hat etwas Stimulierendes und
überaus Außergewöhnliches, überhaupt nicht
mit Alkohol vergleichbar. Mit Alkohol ist man
nur aufgedreht, einem wird
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