Breit - Mein Leben als Kiffer
schwindelig, dann
übel. Gras macht unheimlich ruhig, man fühlt
sich eingebettet in ein warmes, wohliges
Gefühl. Das Ich ist nur noch Gedanke, rein
assoziativ. Gleichzeitig rührt einen nichts
wirklich an. Eine herrliche Gleichgültigkeit.
Alles ist genau so, wie es sein sollte, denke
ich. Mir geht es hauptsächlich darum, dass ich
zufrieden sein kann. Am liebsten würde ich
mich wieder in meinen Traum mit dem grünen
Pflanzenmann und den leuchtenden LSD-Farben
flüchten. Aber irgendwie funktioniert das
diesmal nicht.
«Ihr werdet sehen, der Film ist genial! Ich
meine, na klar, er ist hart, aber echt geil, sehr
sozialkritisch und so…», sagt Markus.
Ich wäre gerne näher mit Markus befreundet.
Weil ich in den meisten Fächern besser bin als
er, ruft er mich häufig an, um nach den
Hausaufgaben zu fragen. Er hat immer noch
nicht begriffen, dass ich die auch nicht weiß.
Am Telefon ist er dann immer distanziert und
extra höflich, als wäre ich einer von den
Strebern. Mit mir redet er nie genauso wie mit
Jan oder Florian. Durch die ewige Fachsimpelei
über Fußball sind sie ein eingespieltes Team
und wirken wie echte Freunde. Ich fühle mich
häufig wie das fünfte Rad am Wagen. Wenn ich
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überhaupt mal mitreden kann, versuche ich,
richtig auf den Putz zu hauen. Aber jetzt spielt
das alles keine große Rolle mehr. Denn jetzt
haben wir etwas, das uns verbindet.
«Mann, Alter, jetzt halt mal die Klappe,
Markus, lass mal rübergehen und den Film
glotzen», meckert Florian in diesem Moment.
Etwas beleidigt drückt Markus auf Play.
Schon in der allerersten Szene begreife ich,
dass dies der heftigste Film ist, den ich je
gesehen habe. Ich bin so schockiert, als würde
ich gerade vor meiner Haustür beobachten, wie
meine Nachbarn umgebracht werden. Das hier
ist nicht mehr mit solchen Filmen wie From
Dusk till Dawn vergleichbar. Menace II Society erfindet nichts, sondern bildet die Realität ab.
Er spielt im Ghetto, erzählt von Bandenkriegen,
Gewalt, Drogen und Mord. Aus völlig nichtigen
Gründen werden hier Menschen umgebracht.
Unberechenbar, schnell, schonungslos und vor
allem ohne Sinn. Ich werde richtig aggressiv,
während wir gucken und unsere Suppen
schlürfen. In dieser Welt muss ich zur Schule
gehen und schon bald Steuern an einen Staat
mit Polizei und Armee zahlen!
«Verfluchte Scheiße, Jungs. Mann, das geht
nich’ klar.» Ich werde etwas lauter. «Während
wir hier sitzen, sind irgendwelche Ghettotypen
wirklich so am Start wie die da im Kasten.» Ich
werde immer lauter. «Genau in diesem Moment
werden Leute umgenietet, und die Mongos
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spritzen sich Heroin! Und das auf der ganzen
Welt!»
«Chill mal, Monsen, altes Haus!», murmelt
Markus.
«Wenn die Bock drauf haben, sollen sie es
machen, ich muss bei so was ja nich’ am Start
sein», sagt Florian.
Im Film wird gerade wieder jemand
bestialisch erschossen und ich lache aufgesetzt
sarkastisch. Den Rest des Films über sagt
niemand mehr ein Wort. Ich überlege, ob mein
Hass sich gegen die Macher dieses Films richtet
oder gegen die Realität, die sie abbilden. Nach
dem Film rauchen wir noch einen Joint, und
Markus fordert uns auf, Florian etwas Geld
dafür zu geben, dass er uns das Gras besorgt
hat. Wir schnipsen ihm Zweieurostücke rüber.
«Ich war noch nie von einem Film so
geflasht», sagt Jan.
«Ja, allein schon, dass die Mutter sich H
spritzt, ist echt hart», sagt Markus, «ich würde
mir nie was anderes als Alk und Gras geben.»
In dieser Nacht schlafe ich unruhig und träume
schlecht, werfe mich immer wieder von einer
Seite auf die andere.
Als ich am nächsten Morgen aufwache, ist
keiner mehr da. Müde schlurfe ich ins
Badezimmer und schaue in den Spiegel: Mein
ganzes Gesicht ist mit Edding bemalt.
Arschlöcher.
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Erwischt
Am Wochenende muss ich mit meiner Mutter
aufs Land fahren.
«Du kannst nicht immer alleine zu Hause
bleiben, außerdem bist du ganz bleich und
kannst die Landluft gut vertragen», sagt sie
und lässt diesmal keinen Widerspruch gelten.
Um nicht völlig vom Sozialleben
abgeschnitten zu sein, frage ich Klaus, ob er
mitkommen will. Er geht auch in meine Klasse,
und obwohl ich ihn gern mag, habe ich nicht
viel mit ihm zu tun. Klaus hat wenig mit Drogen
am Hut und ist von uns allen derjenige mit dem
wärmsten Herzen, erlaubt sich keine harten
Sprüche, macht nie bei einem Lehrerstreich
mit, ist aber auch nicht
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