Breit - Mein Leben als Kiffer
rechtzeitig in
Ordnung.
«Hi, Mam!»
«Hallo, Schnuff!»
«Du sollst mich doch nicht mehr so nennen.»
Wer einmal kifft
Ich sitze vor meinem Computer und lese mir im
Internet Hip-Hop-Lyrics durch. Der Tisch, auf
dem der PC steht, ist definitiv zu klein, und ich
sitze verdreht und krumm in der Ecke und
rauche. Meine Mutter hat vor kurzem wieder zu
rauchen angefangen, und ich kann mir bei den
vielen Stangen, die sie sich regelmäßig für
mehrere Monate auf Reserve kauft, gut ein paar
Schachteln abzwacken, ohne dass sie es merkt.
Sie sagt ja auch immer, dass sie noch nicht mal
ihr Geld im Portemonnaie nachzählt.
Ich denke an gestern, den Tag, an dem ich
endlich zum ersten Mal gekifft habe, und
überlege, Florian anzurufen und ihn zu fragen,
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ob er nächstes Wochenende schon was vorhat.
Irgendwie ist mir langweilig. Das Kiffen war ein
gelungener Höhepunkt in diesem ganzen
Einheitsbrei. Ich weiß nicht, wie ich mich fühlen
soll. Einerseits bin ich glücklich und doch
gleichzeitig frustriert – von der Welt an sich und
von meinem Leben. Ich habe Freunde und
irgendwie auch keine, ich gehe in die Schule,
um etwas zu lernen, und werde jeden Tag
dümmer. Ich bin nicht depressiv, eher
lethargisch wie ein Häftling, der gierig nach
Freiheit und dem Leben ist, aber trotzdem
gelassen und gleichgültig seine Strafe absitzt.
Das Wichtigste für mich am Erwachsenwerden
ist Sex. Liebe und Sex. Liebe läuft aber nicht
ohne Sex, Sex ohne Liebe dagegen schon, also
ist Sex als Voraussetzung zur Liebe das
Bedeutendere. Nichts kann schöner sein, als
mit der Frau, die man liebt, zu schlafen und
einander bis zum Tod nicht zu verlassen. Ich
denke in letzter Zeit immer wieder daran und
merke: Mein größtes Bedürfnis ist es zu lieben.
Mit der einen Frau, meiner Traumfrau, will ich
alt und faltig werden und schrumpelig in einem
Schaukelstuhl vor unserem Haus an einer
paradiesischen Südseebucht mit seichtem
saphirblauem Wasser sitzen. Kein Mensch soll
dort sein, nur wir beide beobachten uns und
das Meer. Die Sonne geht unter, und obwohl
wir alt sind, schlafen wir miteinander, lesen uns
aus Büchern vor und frühstücken in den Dünen.
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Doch jedes Mal, wenn ich nach all der
Träumerei und Schwärmerei wieder auf dem
harten Boden der Realität lande, werde ich
traurig, denn mir wird klar, dass ich tief im
Innern gar nicht daran glaube, meine
Traumfrau jemals zu treffen. Ich bin einfach
nicht cool genug, um eine solche Frau für mich
zu begeistern.
Das Telefon klingelt.
Ich will noch nicht rangehen, will weiter
träumen. Von mir aus müssten wir auch gar
nicht heiraten, wir müssen uns nur lieben, uns
treu sein und Kinder bekommen, die wir aber
nie so sehr lieben wie uns.
Es klingelt weiter.
Die Kinder werden das verstehen,
spätestens, wenn sie auch Kinder haben und
heiraten wollen.
Es klingelt noch immer, und aus Angst, einen
wichtigen Anruf zu verpassen, gehe ich
schließlich doch ans Telefon.
«Moin, Monsen, hier ist Dirk, und bevor du
fragst, ich hab dein Geld nicht.»
Dass der überhaupt noch bei mir anruft.
Letzte Woche habe ich ihn vor den anderen als
behinderten Sadisten, Spacken, als fetten
Mongo und Arschloch beschimpft, weil er mir
immer noch nicht mein Geld zurückgegeben
hat. Es geht mir schon lange nicht mehr um die
fünfundzwanzig Euro, den Verlust kann ich
verschmerzen. Es ist einfach die Art und Weise,
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wie Dirk mit mir darüber redet, besser gesagt
nicht redet, die mich zur Weißglut bringt.
«Komm zur Sache, Digger, was liegt an?»
«Petra macht heute ihre Party, und da wir
alle nicht eingeladen sind, diesmal selbst du
nicht, Mister Ich-verstehe-mich-prima-mit-den-
Mädchen-die-sind-doch-eigentlich-ganz-nett,
haben wir beschlossen, da nachher hinzufahren
und ein bisschen Scheiße zu bauen.»
«Du hast doch echt ’n Rad ab.»
«Ich weiß, dass du mich nicht mehr
abkannst, Monsen, ich wollte es dir ja auch nur
gesagt haben. Wir sind auf jeden Fall um neun
da.»
«Wer denn so?»
«Die Jungs halt.»
Wenn Dirk «die Jungs» sagt, meint er in
Wahrheit niemanden. Ich weiß genau, dass er
erst jetzt damit anfängt, irgendwelche Leute
zusammenzutrommeln. Zu Jan sagt er, Monsen
und Markus kommen, und dann ruft er Markus
an und sagt, Jan ist auch dabei.
Ich beschließe, nicht mitzumachen und
stattdessen weiter meinen melancholischen
Zukunftsfantasien nachzuhängen. Ich lasse
mich auf das rote Sofa
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