Brenda Joyce
in der Sun gesehen hatte. Julia van Wyck Cahill war prächtig
gekleidet; offenbar wollte sie gerade ausgehen. Ihr blaues Abendkleid betonte
ihre schlanke Figur, und ihren Hals zierte eine zweireihige Saphirkette. Bevor
Julia ihrer Tochter antworten konnte, kam auch ihr Mann Andrew in einer weißen
Smokingjacke und einer schwarzen, mit einer Satinbordüre versehenen Hose die
Treppe herunter. Als er seine Tochter erblickte, nahm sein Gesicht einen
verkniffenen Ausdruck an, und seine Augen blickten sie ungläubig und
vorwurfsvoll zugleich an.
»Ich kann
alles erklären«, flüsterte Francesca.
»Was
kannst du erklären?«, wollte Andrew wissen und blieb neben seiner Frau stehen.
»Dass du auf der Titelseite der Sun gelandet bist? Dass du dich wieder
einmal auf eine gefährliche Angelegenheit eingelassen hast? Eine
Angelegenheit, die, wenn ich nicht irre, in die Hände der Polizei gehört
hätte?«
Francesca
atmete tief durch. Wie sollte sie nur beginnen? Doch bevor sie überhaupt zu einer
Erklärung ansetzen konnte, begann ihre Mutter zu reden.
»Ich bin
entsetzt, Francesca. Entsetzt darüber, dass meine Tochter einem Mörder
gegenübertritt und sich dadurch in unbeschreibliche Gefahr begibt. Das muss ein
Ende haben. Dieses Mal bist du wirklich zu weit gegangen.« Julia wandte sich um
und nickte einem Dienstboten zu, der ihr daraufhin ihren prächtigen Zobelmantel
hinhielt. Sie bedeutete ihm, ihn ihr über die Schultern zu legen.
»Ich beginne mich langsam zu
fragen, ob meine Tochter, die ich immer für sehr intelligent hielt, den
Verstand verloren hat«, sagte Andrew.
Francesca
fuhr zusammen. In diesem Ton hatte ihr Vater noch nie mit ihr gesprochen. »Ich
war der Polizei eine große Hilfe«, murmelte sie kleinlaut. Tatsache war, dass
sie es war, die den Mordfall im letzten Moment hatte lösen können. »Seit Bragg
in der Stadt ist, steckst du bis über beide Ohren in Polizeiangelegenheiten«,
sagte Julia vorwurfsvoll. »Glaubst du, ich bin blind, Francesca? Ich sehe doch,
was vor sich geht.«
»Gar
nichts geht vor sich«, versuchte Francesca abzuwiegeln und warf ihrem Vater
einen verstohlenen Blick zu. Er hatte gewusst, dass Bragg verheiratet war,
hatte das Geheimnis aber für sich behalten. In diesem Moment fragte sich Francesca
zum wiederholten Male, warum er es ihr nicht verraten hatte.
»Wir gehen
jetzt aus, aber wir werden uns morgen Früh weiter darüber unterhalten,
Francesca.« Julia warf ihrer Tochter einen Unheil verkündenden Blick zu. Dann
wandte sie sich ab, während ihr Mann seinen Mantel überzog. Andrew blickte
seine Tochter kopfschüttelnd an und sah dabei so furchtbar grimmig aus, dass
Francesca wusste, dass sie in großen Schwierigkeiten steckte. Auch als ihre
Eltern das Haus verlassen hatten, wollte sich bei ihr kein Gefühl der Erleichterung
einstellen. Aber was konnten sie schon unternehmen? Francesca war schließlich
eine erwachsene Frau.
Allmählich
ließ ihre Anspannung ein wenig nach, und sie beschloss, sich am nächsten
Morgen Gedanken über ihre Eltern machen. Seufzend wandte sie sich Bette zu, die
ihr eine fein geprägte Visitenkarte auf einem Silbertablett reichte. Nachdem
Francesca die Karte für einen Moment neugierig betrachtet hatte – sie glaubte
nicht, jemals einer Mrs Lincoln Stuart begegnet zu sein –, dankte sie Bette und
öffnete die Tür zu dem kleinen Salon im Erdgeschoss.
Er war
wunderschön ausgestattet und wurde häufig dafür benutzt, einzelne Besucher zu
empfangen. Der Raum war in einem blassen Gelb gestrichen, und die meisten Möbel
waren in verschiedenen Gelb- oder Goldtönen gehalten mit einigen roten und
marineblauen Akzenten. Als Francesca den Salon betrat, erblickte sie Mrs
Lincoln Stuart sofort. Sie saß auf einem Sofa am anderen Ende des Zimmers und
erhob sich, als sie Francesca erblickte. Diese trat lächelnd auf die Frau zu,
die nervös ihre Hände knetete.
Francesca
sah, dass ihre Besucherin ein paar Jahre älter war als sie selbst. Die Frau war von einer recht unscheinbaren
Erscheinung und hatte eher gewöhnliche Züge, aber wunderschöne wallende,
kastanienbraune Locken. Sie trug ein edles grünes Kostüm mit Blümchenmuster,
und ihre Hand zierte ein großer Diamantring. Francesca vermutete, dass ihr Mann
reich war. Mrs Stuart machte einen verzweifelten Eindruck.
»Miss
Cahill, ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, dass ich mir die Freiheit
genommen habe, Sie auf diese Weise zu überfallen«, sagte sie mit einer
heiseren Stimme, die erfüllt war
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