Brenda Joyce
du aus gewesen?«
»Nein, nein. Ich leide an einer
leichten Migräne und bin den ganzen Tag zu Hause geblieben«, erwiderte Lydia
rasch. Sie war kreidebleich.
»Miss Cahill, ich freue mich,
dass meine schöne, junge Frau Freundschaften schließt«, sagte Lincoln an
Francesca gewandt und lächelte sie an.
Diese
bemerkte zum ersten Mal, wie scharf und durchdringend der Blick aus seinen
blauen Augen war. Sie empfand ihn beinahe schon als beunruhigend, als er von
Kopf bis Fuß über sie hinwegglitt. »Tja, wir Frauen plaudern und klatschen nun
einmal gern«, erwiderte sie leichthin. »Ich hatte gehofft, dass Lydia Lust auf
einen Spaziergang hat.«
»Es
schneit«, bemerkte Lincoln daraufhin trocken.
Francesca
zuckte innerlich zusammen. Natürlich hatte er Recht; auf den Straßen lag
bereits eine Schneeschicht von gut und gern drei Zentimetern. »Oder zu einer
Schlittenfahrt im Park?«, fuhr sie an Lydia gewandt fort. »Der Central Park hat
so etwas Magisches im Winter.«
»Ein anderes Mal«, sagte Lydia
mit rauer Stimme. »Vielleicht morgen? Ich habe gehört, dass es über Nacht
kräftig schneien soll.«
Francesca fragte sich, wie es
Lincoln Stuarts Aufmerksamkeit entgehen konnte, dass seine Frau furchtbar
ängstlich und bedrückt wirkte.
»Liebes? Das hier ist für
dich«, sagte er in diesem Augenblick und reichte seiner Frau das Päckchen. Es
war in hellrotes Papier eingeschlagen und mit einem dunkelroten Geschenkband
zugebunden.
»0
Lincoln, wie aufmerksam von dir.«
»Mach es nur auf. Und dann
werde ich euch wieder eurer Plauderei überlassen.«
Francesca
hatte eigentlich vorgehabt zu gehen, aber sie war neugierig auf den Inhalt des
Päckchens, da er womöglich etwas über Lincolns Gefühle für seine Frau
auszusagen vermochte. Und so drängte sie nicht darauf, sich verabschieden zu
wollen, sondern beobachtete, wie Lydia mit leicht zitternden Händen das Band
und das Papier entfernte und ein in Leder gebundenes Buch mit einem in Gold
geprägten Titel zum Vorschein kam.
Francesca war überrascht, denn
sie schätzte Lydia eher als eine Frau ein, die Schmuck von Tiffany oder
französische Unterwäsche bevorzugte.
Sie fragte
sich, um was für ein Buch es sich wohl handeln mochte.
»Dieser
Band wurde von einem Freund von mir herausgegeben, der für Harper's Weekly arbeitet.
Lydia liebt Gedichte, nicht wahr, Liebes?« Lincoln blickte von Francesca zu
seiner Frau.
Francesca
erstarrte vor Überraschung. Lincoln schenkte seiner Frau einen Gedichtband?
Aber natürlich musste das nichts zu bedeuten haben. Wahrscheinlich war es nur
ein Zufall und hatte nicht das Geringste mit dem bedrohlichen Gedicht zu tun,
das sie selbst am Abend zuvor erhalten hatte.
Lydia, die immer noch
auffallend bleich war, umklammerte das Buch. Francesca hätte schwören können,
dass die Frau Angst hatte. »Du hast mir so viel beigebracht«, flüsterte sie.
Ihre Worte schienen Lincoln zu
gefallen, und er drehte sich zu Francesca um und sah diese herausfordernd an,
ohne etwas zu sagen.
Francesca
fand ihre Stimme wieder. »Was für ein wunderbares Geschenk«, sagte sie. Eine
sonderbare innere Anspannung machte sich in ihr breit, es fühlte sich an, als
sei nichts von dem richtig, was in diesem Zimmer geschah und gesagt wurde. Oder
bildete sie sich etwa nur ein, dass Gefahr in der Luft lag? »Ich glaube, ich
sollte nun gehen, damit Sie den Nachmittag in Ruhe mit Ihrer Frau verbringen
können.« Sie lächelte Lincoln an und bemerkte, dass seine hellblauen Augen
immer noch unverwandt auf sie gerichtet waren.
»Ich habe Sie doch hoffentlich
nicht verjagt?«, fragte er, während er sie zur Tür des Salons begleitete. »Das
war nicht meine Absicht.«
»Aber
nein«, versicherte sie ihm und blickte lächelnd zu Lydia zurück. »Sollen wir
morgen gemeinsam zu Mittag essen? Oder eine Ausfahrt in den Park unternehmen?«
Lydia
nickte nur, ohne ein Wort zu sagen.
»Henry, bitte begleiten Sie Miss
Cahill hinaus!«, rief Lincoln. Als der Dienstbote auftauchte, lächelte er
Francesca ein letztes Mal an und kehrte dann in den Salon zurück, wo seine
Frau regungslos in der Mitte des Zimmers stand.
Nachdem er die Tür geschlossen
hatte, rührte sich Francesca einen Moment lang nicht von der Stelle. Ihre
Gedanken überschlugen sich. Neigte sie jetzt etwa schon zur Hysterie? Es war
doch gewiss nichts weiter als ein Zufall, dass Lincoln Stuart seiner Frau einen
Gedichtband geschenkt hatte.
Aber dennoch wünschte sie, sie
hätte einen Blick auf die
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