Brenda Joyce
geflickt. Er hatte die Hände in den Taschen vergraben und schien
sich furchtbar unbehaglich zu fühlen. In der Tat wirkte er hier völlig
deplaziert. Als sich ihre Blicke trafen, winkte er ihr aufgeregt zu und bedeutete
ihr, sie möge zu ihm kommen. Francesca begriff, dass da etwas nicht stimmte.
Sie hatte Joel kürzlich als Gehilfen angestellt und fragte sich
nun, ob es wohl einen neuen Fall aufzuklären galt.
»Kennedy?«, sagte Hart mit einem Anflug von
Überraschung in der Stimme. Doch dann fügte er ironisch hinzu: »Nun, damit
hätte ich früher oder später wohl rechnen müssen. Ich hätte nur nicht gedacht,
dass der Moment so bald kommen würde.«
»Ich bin gleich wieder da«, versprach Francesca, die seine Worte
gar nicht gehört hatte. Wenn Joel in eine solche Festivität hineinplatzte,
musste etwas wirklich Schlimmes vorgefallen sein. Was immer es
war, sie musste sich der Sache annehmen, jetzt sofort. Hastig durchquerte
Francesca den Raum. »Joel! Welch eine Freude, dich zu sehen!«, rief sie und
umarmte ihn.
»Miss Cahill! Gott sei Dank sind Sie wieder da!«, gab er zurück.
Er war sichtlich verstört.
Sie legte ihm einen Arm um die Schulter. »Was ist denn geschehen?«
»Die Tochter von Mutters Freundin wird seit drei Tagen vermisst«,
berichtete er mit dringlicher Stimme. »Die arme Mrs O'Hare is jeden Tag bei uns
und weint sich die Augen aus'm Kopf. Wir beten alle, dass sie bald wieder nach
Hause kommt!«
Francesca starrte ihn an und vergaß mit einem Schlag all die
Sorgen, die sie zurzeit bedrückten. »Ein Kind wird vermisst? Und das schon seit
drei Tagen?«, vergewisserte sie sich erschrocken, und ihre Gedanken
überschlugen sich.
Joel nickte grimmig. »Die kleine Emily O'Hare. Ich kenn sie schon
mein ganzes Leben lang«, fügte er hinzu.
Das war in der Tat entsetzlich. Francesca befürchtete das
Schlimmste, was das Schicksal des Kindes betraf, denn drei Tage waren eine
lange Zeit. »Wir müssen umgehend die Eltern des Mädchens befragen«, entschied
sie. »Es ist noch früh genug, gewiss noch vor neun Uhr. Lass uns sofort hinfahren«,
entschied sie spontan.
»Ich halte
'ne Droschke an«, rief Joel und lief davon.
»Du widmest dich also wieder einem neuen Fall?«, ertönte Harts
Stimme hinter ihr.
Sie fuhr herum, mied aber seinen fragenden Blick und rief einem
vorbeigehenden Dienstboten zu: »Meinen roten Umhang, bitte.« An Hart gewandt
erwiderte sie: »Ich fürchte, ja. Ein junges Mädchen wird seit drei Tagen
vermisst. Der Zeitfaktor spielt bei so etwas eine entscheidende Rolle, also fang
bitte keine Diskussion mit mir an. Es ist noch früh, und ich will die Eltern
des Kindes noch heute Abend befragen.« Ungeduld überkam sie – es drängte sie,
sich umgehend auf den Weg in die Innenstadt zu machen.
Hart seufzte, schüttelte den Kopf und sagte zu einem anderen
Dienstboten: »Meinen Mantel und meine Handschuhe, bitte.«
Francesca fuhr zusammen. »Was
hast du denn vor?«
»Ja, glaubst du denn wirklich,
ich würde zulassen, dass du heute Abend, in diesem Kleid, nur mit Kennedy an
deiner Seite in irgendeinem fragwürdigen Viertel Nachforschungen anstellst?«
Sie blinzelte. Es dauerte einen Moment, ehe sie begriff, was er
damit meinte: »Du willst doch nicht etwa sagen ...? Das kann nicht dein Ernst
sein!«
»Und ob. Ich komme mit, meine Liebe.« Er lächelte sie an. Sie
vergewisserte sich verblüfft: »Du willst mich bei meinen Nachforschungen
begleiten?«
»Ganz
recht.«
Das war wirklich unglaublich, aber Francesca wollte sich ihre
Begeisterung nicht anmerken lassen. Sie zuckte lediglich mit den Schultern und
sagte nonchalant: »Meinetwegen. Wenn du es wirklich für nötig befindest. Ich
bilde mir allerdings ein, bereits unter Beweis gestellt zu haben, dass ich
sehr gut selbst auf mich aufpassen kann.« Sie lieB sich von dem Dienstboten
ihren Umhang umlegen.
»Ich glaube nun einmal, dass es vonnöten ist, also lass mir doch
bitte meinen Willen.« Er schlüpfte in seinen schwarzen Mantel.
»Da wäre nur eines«, sagte Francesca, während sie zur Haustür
gingen.
»Ich höre.«
»Du bist ein Amateur in kriminalistischer Ermittlungsarbeit,
und ich möchte nicht, dass du mir bei meinen Nachforschungen
in die Quere kommst.« Ihr war bewusst, dass ihr Tonfall ein wenig schroff war,
aber es lag ihr viel daran, von Beginn an gewisse Grenzen abzustecken.
»Ganz wie du wünschst, mein Liebling«,
erwiderte er gehorsam.
Seine Gefügigkeit erschien ihr verdächtig, aber darüber
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