Brenda Joyce
ihres Verschwindens.«
Francesca war für einen Moment sprachlos. Die
Kutsche hatte inzwischen angehalten, und ein leichtes Rucken verriet, dass
Raoul vom Kutschbock kletterte. »Aber sie ist doch noch ein Kind. Ein Kind von
gerade einmal dreizehn Jahren.«
»Ich sage ja nicht, dass ich ein solches Verhalten billige«,
erwiderte er. »Aber so etwas kommt nun einmal vor.«
Sie starrte ihn an.
Er wich ihrem Blick nicht aus. Als Raoul die Tür öffnete, dankte
er dem Kutscher, ohne sich von Francesca abzuwenden.
Joel zupfte sie am Ärmel. »Er hat recht, Miss
Cahill. Ich hab so was mal von Tammie Browne gehört. Die hat in unserer Straße
gewohnt. War richtig hübsch, dunkelrote Haare und große blaue Augen, und als
sie fünfzehn war, ist sie mit 'nem Gentleman gegangen und hat bei ihm gewohnt.
Ihr Vater sagt, seitdem ist sie nicht mehr seine Tochter. Er ist bloß 'n
Metzger, aber 'ne ehrliche Haut, ziemlich gläubig und so. Der bricht immer noch
jedes Mal in Tränen aus, wenn er ihren Namen hört.«
Francesca schloss kurz die Augen. Es war immer wieder ein Schock
für sie, aus dem Prunk und Überfluss ihrer Welt in diese andere zu treten,
diese dunkle Welt, die von Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit beherrscht war.
Eine Welt, von der Connie und Julia nicht einmal wussten, dass sie existierte
– eine Welt, in der Mädchen wie Tammie Browne gezwungen waren, in die
Verderbtheit abzugleiten, um überleben zu können.
Hart berührte ihren Ellenbogen. »Wenn du Emily finden willst,
sollten wir jetzt hinaufgehen und ihre Eltern befragen«, sagte er.
Sie schrak auf. Er hatte sich so dicht zu ihr herübergebeugt, dass
seine Knie die ihren berührten. »Ich hoffe nur, dass du dich irrst, Calder. Das
hoffe ich von ganzem Herzen.«
Er zögerte. »Es gibt schlimmere Schicksale.«
Sie blickte ihn alarmiert an. »Zum Beispiel?«
»Bitte.« Er forderte sie mit einer Kopfbewegung auf, aus der
Kutsche zu steigen, wobei sein Blick keinen Moment von ihr wich.
Francesca ließ sich von Raoul aus dem Landauer helfen und bedankte
sich bei dem kleinen, dunkelhäutigen Kutscher, von dem sie vermutete, dass er
in Wahrheit eher ein Leibwächter war. Dann folgten sie und Hart Joel in das
dunkle, schmutzige Backsteingebäude und zwei schmale, unbeleuchtete Treppen
hinauf. Der Junge klopfte an die Tür zur Wohnung Nummer sieben, woraufhin
sofort ein älterer Mann mit geröteten Augen öffnete. Francesca nahm an, dass es
sich um Emilys Vater handelte.
Er trug eine Arbeitshose und einen zerlumpten Pullover. »Joel?«
Der Mann schien geschlafen zu haben. Er roch allerdings nach Bier.
»Mr O'Hare, Sir. Ich hab Miss Cahill mitgebracht, eine berühmte
Detektivin.«
O'Hare blinzelte. Er hatte dunkles Haar mit langen Koteletten und
einen sehr dicken Bauch.
»Sie kann helfen, Emily wiederzufinden«, fügte Joel eindringlich
hinzu.
Francesca drückte dem Mann rasch ihre Visitenkarte in die Hand.
Francesca
Cahill
Kriminalistin
aus Leidenschaft
810 Fifth Avenue, New
York City.
Akzeptiere
alle Fälle.
Kein Verbrechen zu geringfügig.
O'Hare warf einen Blick darauf und blinzelte wieder. »Was soll das?«
Irgendwo in der Wohnung ertönte die hoffnungsvolle, gespannte
Stimme einer Frau, die sich erkundigte, wer da sei. »Mr O'Hare, Sir. Mein Name
ist Francesca Cahill und ich bin Privatdetektivin. Ich bin hier, um Ihnen
einige Fragen über Emilys Verschwinden zu stellen«, erklärte Francesca mit
fester Stimme.
Die Augen des Mannes füllten sich mit Tränen. »Willst du mir etwa
'nen Streich spielen, Junge?«, fuhr er Joel an. »Du magst keinen Vater haben,
aber ich hätte nix dagegen, dir eine Tracht Prügel zu verabreichen!«
Francesca schob Joel hinter ihren Rock. »Mr O'Hare. Darf ich
eintreten? Ich würde mich gern mit Ihnen und Ihrer Frau unterhalten – wenn
Ihnen daran liegt, Ihre Tochter wiederzufinden.«
»Brian!« Eine rundliche Frau mit bemerkenswert schwarzem Haar und
leuchtenden blauen Augen eilte auf sie zu. Sie sah Francesca an und sagte, ohne
den Blick von ihr zu wenden, zu ihrem Mann: »Maggie hat mir von Miss Cahill
erzählt. Sie ist Privatdetektivin, Brian. Sie macht Mörder, Schurken und Gauner
ausfindig – und sogar verschwundene Kinder. Bitte lass sie rein!«
Brian fuhr zusammen, während Francesca beim Anblick von Emilys
Mutter die schlimmsten Befürchtungen überkamen. Wenn Emily ihr ähnlich sah, war
sie wahrscheinlich mehr als nur hübsch – dann war sie eine Schönheit, und Hart lag
mit seiner Vermutung
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